Hamburger Abendblatt 1.6.99

Der Prozeß gegen den PKK-Chef Abdullah Öcalan
"Im Grunde ist das Ganze ein Militärverfahren"

Interview mit Eberhard Schultz - einem der Öcalan-Verteidiger

 Von FRANK HERRMANN
Bremen - Der Rechtsanwalt Eberhard Schultz aus Bremen verteidigt den PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan in einem in Deutschland anhängigen Verfahren. Außerdem vertritt er ihn vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen einer Beschwerde gegen seine Entführung, den Prozeß in der Türkei sowie die Haft- und Verteidigungsbedingungen.

 HA: Erwarten Sie ein faires Verfahren in der Türkei? Schultz: Das Verfahren hätte längst eingestellt werden müssen. Öcalan wurde mit Hilfe verschiedener Geheimdienste aus Kenia entführt. Das staatlich organisierte Kidnapping verstieß gegen Artikel 5 der europäischen Menschenrechtskonvention. Der verbietet nämlich willkürliche Festnahmen. Und die Türkei hat die Konvention selbst unterschrieben.

Trotzdem hat der Prozeß gestern begonnen. Wie beurteilen Sie das Gericht? Zuständig ist das Staatssicherheitsgericht in Ankara. Einer der drei Richter ist Offizier. Er unterliegt militärischer Disziplin, er hat eine Berichtspflicht gegenüber seinen Vorgesetzten. Schon deshalb ist dieses Gericht nicht unabhängig. Im Grunde ist das Ganze ein Militärverfahren. Dazu kommt die Hetzkampagne gegen Öcalan. Die Videos und Fotos, die man von ihm gezeigt hat, sind schlicht erniedrigend. Er wurde zur Schau gestellt wie eine Jagdtrophäe. Die Medien verteufelten ihn als blutbefleckten Babykiller, sie machten ihn für den Tod Tausender Menschen verantwortlich. Das ist eine Vorverurteilung. Von einem rechtsstaatlichen Verfahren kann unter diesen Umständen keine Rede sein. Die Richter können sich dieser aufgeheizten Atmosphäre nicht entziehen, selbst wenn sie es wollten.

Wie steht es mit der Verteidigung Öcalans? Gespräche der Anwälte mit ihrem Mandanten wurden überwacht, was laut Menschenrechtskonvention nicht zulässig ist. Das erste Treffen mit Rechtsanwalt Ökcuoglu wurde nach nur 25 Minuten abgebrochen. Zwei maskierte Militärs saßen die ganze Zeit dabei. Der Richter wollte sie hinausschicken. Aber sie haben sich geweigert und sind geblieben. Daran sieht man, wer wirklich das Sagen hat. Das internationale Verteidigerteam, dem ich angehöre, hat den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg angerufen. Der hat die Türkei im März verpflichtet, für eine effektive Verteidigung zu sorgen. Erst dadurch wurden weitere Anwaltsbesuche überhaupt möglich. Als Öcalan Ende April wegen einer Rede im kurdischen Fernsehsender Med-TV in Abwesenheit verurteilt wurde, wurden seine Verteidiger beschimpft und verprügelt.

Mit welcher Strafe rechnen Sie? Mit der Todesstrafe.

Wird ein Todesurteil auch vollstreckt? Das ist zu befürchten. Zwar ist seit 1984 in der Türkei niemand mehr hingerichtet worden. Aber im Parlament, das letztlich entscheiden muß, sind die meisten für eine Exekution Öcalans. Das Ausland müß´te schon großen Druck ausüben, um das zu verhindern. Vor allem die Europäer müßten etwas tun.