Frankfurter Rundschau 27.5.99

Die Verkündung seines Todesurteils soll Öcalan denn doch erleben
Der Vorsitzende Richter rechtfertigt die Abschottung des PKK-Chefs während des am Montag beginnenden Prozesses
Von Gerd Höhler (Athen)

"Eine Farce" nennt Ahmet Zeki Okcuoglu, Verteidiger des PKK-Chefs Abdullah Öcalan, den gegen seinen Mandanten angestrengten Prozeß. Das Verfahren soll am Montag auf der Gefängnisinsel Imrali im Marmarameer beginnen. Es könnte mit einem Todesurteil enden.
Spekuliert wird jetzt über eine mögliche Verschiebung des Verfahrens.  Ministerpräsident Bülent Ecevit möchte gern mittels einer Verfassungsänderung die Militärrichter aus dem Staatssicherheitsgericht verbannen und damit einen leidigen Kritikpunkt ausräumen. Voraussetzung dafür wäre, den Prozeßbeginn um mindestens einige Tage zu verschieben.  Die Entscheidung darüber läge beim Staatssicherheitsgericht selbst. Daß es dem Premier entgegenkommt, gilt aber nicht als sehr wahrscheinlich.
Wann immer der Prozeß beginnt, ob mit oder ohne Militärrichter, "Öcalan ist längst verurteilt", ist dessen Verteidiger Okcuoglu fest überzeugt. Noch nie in seinem Berufsleben sei er als Anwalt derart erniedrigt worden. "Ich habe Angst, wenn ich schlafe, Angst, wenn ich das Telefon abhebe, Angst, wenn ich auf der Straße bin." Seit Wochen klagen auch die anderen Öcalan-Anwälte über massive Behinderungen ihrer Tätigkeit, Einschüchterungsversuche und sogar Mißhandlungen durch die Polizei.
Harte Kritik üben die Verteidiger auch an den Bedingungen, unter denen der Prozeß stattfinden soll. Öcalan wird in einem schußsicheren und schalldichten Glaskasten sitzen. Mit seinen Anwälten wird er deshalb während der Verhandlung keinen unmittelbaren Kontakt haben. Ökcuoglu zog sich deshalb demonstrativ von der Verteidigung zurück und forderte seine Kollegen auf, seinem Schritt zu folgen und ihr Mandat niederzulegen.  Viele der mehr als 100 Öcalan-Anwälte wollen dennoch weitermachen.
Öcalan soll sich für den Tod von mehr als 9800 Menschen verantworten,
die laut Anklage seit 1984 von der PKK ermordet wurden. Er gilt als der
"Staatsfeind Nummer 1". Die Öffentlichkeit erwartet, daß die Richter zum Schluß des Prozesses ihre Bleistifte über den Akten zerbrechen werden - die traditionelle Art in der Türkei, Todesurteile zu verkünden.
Richter Turgut Okyay, der Vorsitzende Richter, rechtfertigte die Sicherheitsvorkehrungen. Der Glaskäfig, in dem Öcalan sitzen werde, existiere "überall in Europa". Er diene dazu, "das Leben des Angeklagten zu garantieren". Öcalan werde einen fairen Prozeß erhalten.
Sein Todesurteil soll der PKK-Chef noch erleben. Hoffnungen, die Todesstrafe könnte zuvor noch abgeschafft werden, haben sich zerschlagen. Ecevit will die Reform zwar durchziehen, aber erst nach dem Öcalan-Verfahren.
Zwar ist die Todesstrafe seit 1984 nicht mehr vollstreckt worden, aber Vertreter der rechten Nationalistischen Bewegung (MHP), die an der nächsten Regierung beteiligt sein wird, haben bereits klargemacht, daß sie die Hinrichtung des PKK-Chefs durchsetzen wollen. Auch in den anderen Parteien gibt es Befürworter einer Hinrichtung. Stimmen Parlament und Präsident Süleyman Demirel zu, würde das Urteil auf der Gefängnisinsel Imrali vollstreckt. Es wäre nicht die erste Hinrichtung dort. 1961 wurden hier der ein Jahr zuvor durch einen Militärputsch gestürzte Ministerpräsident Adnan Menderes und zwei seiner Minister gehenkt.