Rhein-Neckar-Zeitung 26.5.1999

Fairer Prozeß für Öcalan? - Justiz und Verteidigung uneinig Istanbul

(dpa) - Wenige Tage vor Beginn des Prozesses gegen PKK-Chef Abdullah Öcalan sind erhebliche Differenzen zwischen der türkischen Justiz und den Verteidigern des Kurdenführers aufgetreten. Während Richter und Staatsanwaltschaft dem Chef der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) einen fairen Prozeß garantieren, beklagen die Anwälte massive Behinderungen bei der Vorbereitung. «Es wird ein gerechtes Verfahren geben», sagte einer der mit dem Fall befaßten Staatsanwälte, Talat Salk, der Zeitung «Milliyet» (Mittwoch-Ausgabe). Anwalt Ahmet Zeki Okcuoglu erklärte hingegen in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa): «Wir konnten nicht einmal ohne Aufsicht mit Abdullah Öcalan sprechen... Unter diesen Umständen ist eine ordentliche Verteidigung nicht möglich.» Beamte, die teilweise maskiert waren, seien bei allen Gesprächen der Anwälte mit Öcalan im Raum gewesen. «Im Grunde konnte man nur fragen: Wie geht‘s?», beklagte der Istanbuler Anwalt, der selbst Kurde ist. Auch die Informationspolitik der türkischen Justiz kritisierte er scharf.  Die Verteidiger hätten viele Einzelheiten zum Prozeß aus der türkischen Presse erfahren. Richter Turgut Okyay, Vorsitzender des Staatssicherheitsgerichts Nummer 2 in Ankara, betonte hingegen, Öcalan werde alle im Rahmen des Gesetzes vorgesehenen Rechte erhalten. Seine Anwälte bekämen, falls sie dies wünschten, zusätzliche Zeit für die Verteidigung, sagte der Richter nach Angaben der «Turkish Daily News». Der Prozeß gegen Öcalan beginnt am kommenden Montag auf der Marmara-Insel Imrali. Auch die Verfassung des Kurdenführers stellen Justiz und Anwälte völlig unterschiedlich dar. «Er steht unter enormen psychischem Druck», sagte Anwalt Okcuoglu, der den PKK-Chef seit seiner Festnahme im Februar fünf Mal auf Imrali besucht habe. Nach Angaben des Staatsanwaltes ist der Kurdenführer dagegen in guter physischer Verfassung.  Ärzte bestätigten, daß er keinerlei Beschwerden habe. Öcalan soll den Prozeß hinter einer Glaswand verfolgen. Der Richter wies Einsprüche der Anwälte gegen die Wand zurück. Diese garantiere Öcalans Sicherheit und sei eine weit verbreitete Methode in Europa. Der Prozeß wird voraussichtlich zwei Monate dauern. Die Staatsanwaltschaft wirft Öcalan zahlreiche Morde an Soldaten und Zivilisten sowie Hochverrat vor und fordert die Todesstrafe. Anwalt Okcuoglu nimmt selbst nicht am Prozeß auf Imrali teil. Unter anderem befürchtet er Übergriffe von rechtsextremen Kräften. Den Kurdenführer verteidigen nach Angaben von Okcuoglu etwa 15 Anwälte. Die Mehrheit sei Kurden. Für den Verteidiger steht der Ausgang des Verfahrens bereits fest. «Natürlich wird er zum Tode verurteilt werden.» Die jetzige Situation Öcalans sei auch durch die Haltung Europas verschuldet worden. «Wenn Öcalan ein Terrorist ist, dann hätte er international verfolgt werden müssen. Aber das hat Europa nicht getan», kritisierte Okcuoglu.