Frankfurter Rundschau 26.5.99

Kurden-Führer Anwalt Öcalans vor Prozeßbeginn angeklagt

öhl ATHEN, 25. Mai. Einer der Verteidiger von Abdullah Öcalan - der PKK-Chef muß sich ab Montag wegen Mordes und Hochverrats vor Gericht verantworten - ist jetzt wegen Unterstützung der verbotenen Kurdenpartei PKK angeklagt worden. Nach einem Bericht der Istanbuler Zeitung Sabah soll Anwalt Niyazi Bulgan versucht haben, Dokumente und eine Videokassette zum Fall Öcalan nach Belgien zu „schmuggeln“.
An der Verteidigung Öcalans, dem im Falle eines Schuldspruchs die Hinrichtung droht, wollen sich über 100 Anwälte beteiligen. Einige von ihnen berichteten in den vergangenen Wochen über Einschüchterungsversuche und Mißhandlungen durch die Polizei. Kritik übten sie jetzt auch an den Umständen, unter denen ab Montag auf der Gefängnisinsel Imrali verhandelt werden soll. Öcalan wird in einem schußsicheren und schalldichten Glaskasten sitzen. Die Anwälte sehen darin eine Verletzung der Rechte des Angeklagten, der während der Verhandlung keinen unmittelbaren Kontakt mit seinen Verteidigern haben werde. Aus diesen Gründen will der Hauptanwalt Ahmet Zeki Okcuoglu nicht am Prozeß teilnehmen, weil er „mit dieser Farce nichts zu tun haben“ wolle, wie er am Dienstag erklärte. Er forderte die anderen Anwälte auf, seinem Schritt zu folgen. Unterdessen gibt es in der Türkei wachsende Besorgnis wegen befürchteter Terroranschläge der PKK. Das Justizministerium in Ankara mahnte am Dienstag die Bediensteten zu erhöhter Wachsamkeit. In Mudanya, der Hafenstadt am Marmarameer, von der aus zur Gefängnisinsel Imrali übergesetzt wird, verschärfte die Polizei die Sicherheitsvorkehrungen. Die beteiligten Richter und Staatsanwälte trafen schon am Dienstag auf Imrali ein. Man rechnet damit, daß Mitte Juni ein Urteil gesprochen wird.