Frankfurter Rundschau 3.5.99

Ankaras Polizei in Erklärungsnot
Öcalans Anwälte melden Mißhandlung durch Uniformierte

Von Gerd Höhler
ANKARA, 2. Mai. Sechs Anwälte des inhaftierten PKK-Chefs Abdullah Öcalan haben berichtet, sie seien von türkischen Polizisten mißhandelt worden. Nach Bekanntgabe des Prozeßtermins gegen Öcalan habe sie die Polizei am Freitag in einem Kleinbus vom Gerichtsgebäude weggefahren, sagte Anwalt Zeki Okcuoglu in Ankara, angeblich, um sie vor militanten Demonstranten zu schützen. Nach kurzer Fahrt habe der Wagen angehalten, dann hätten die Polizisten die Anwälte mit Knüppelschlägen und Fußtritten aus dem Fahrzeug getrieben.
Einige der Anwälte zeigten Reportern Spuren der Schläge an den Armen und am Kopf. Beobachter der Menschenrechtsorganisation amnesty international bestätigten aus eigener Anschauung, daß die Juristen von uniformierten Polizisten geschlagen worden seien. Ein Sprecher der Polizei wies die Vorwürfe zurück. Die Anwälte erwägen nun, sich von dem Fall zurückzuziehen. Zuvor hatte das Staatssicherheitsgericht in Ankara beschlossen, der Hochverratsprozeß gegen Öcalan solle am 31. Mai auf der Gefängnisinsel Imrali beginnen. Ausländern werde der Zugang zum Gerichtssaal nur gestattet, sofern sie den Prozeß nicht mit einem offiziellen Auftrag beobachten wollten.
Alles andere würde „einen Schatten auf die unabhängige türkische Justiz werfen“, hieß es zur Begründung. Der Vertreter von amnesty international, US-Anwalt Wesley Gryk, äußerte die Befürchtung, daß Öcalan nicht mit einem fairen Prozeß rechnen könne.
Die Jugendorganisation der rechtsextremen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) begann unterdessen damit, in vielen türkischen Städten für die Hinrichtung des PKK-Chefs Stimmung zu machen. Plakate zeigen Öcalan in Gestalt des Satans, der ein kleines Kind verschlingt. Die Poster der MHP, die bei den Parlamentswahlen am 18. April zweitstärkste Kraft wurde, tragen die Aufschrift: „Die türkische Nation hat entschieden - Exekution!“ Zur Vollstreckung eines Todesurteils bedürfte es der Zustimmung des Parlaments.