Neue Zürcher Zeitung, 27.02.1999

Athens Rolle in der Öcalan-Affäre bleibt unklar
Der neue Aussenminister gewinnt an politischer Statur

Journalisten sind am Freitag in Athen daran gehindert worden, mit drei am Vorabend aus Nairobi nach Athen zurückgekehrten kurdischen Mitarbeiterinnen des PKK-Chefs Öcalan zu sprechen. Vom Geheimdienstoffizier, der die drei Frauen begleitete, fehlt seit seiner Ankunft jede Spur. Dem neuen Aussenminister Georgios Papandreou ist es mit seinem überzeugenden Auftreten gelungen, in kurzer Zeit die Sympathien der Griechen zu gewinnen.

H. G. Athen, 26. Februar
Der Jubel über die Ausreise von drei kurdischen Mitarbeiterinnen des PKK-Chefs Öcalan aus Kenya, die sich zusammen mit dem Kurdenführer in der Residenz des griechischen Botschafters in Nairobi aufgehalten hatten, sowie eines Mitglieds des griechischen Geheimdienstes ist schon bald neuer Besorgnis gewichen. Am Freitag war es nämlich nicht möglich, mit den drei Frauen Kontakt aufzunehmen, was den führenden privaten Fernsehsender Mega zur Frage veranlasste, ob diese gefangengehalten würden oder in Schutzhaft seien. Erste Enttäuschung bei den am Flughafen von Athen wartenden Journalisten, kurdischen Aktivisten und Sympathisanten hatte sich schon am späten Donnerstagabend breitgemacht, als man in Erfahrung brachte, dass das aus Kenya ankommende Flugzeug zum Militärflughafen von Eleusis umgeleitet wurde.

Ein neuer Sündenbock?
Noch grösser war die Sorge der Angehörigen des die drei Kurdinnen begleitenden griechischen Geheimdienstoffiziers. Von ihm fehlt seit seiner Rückkehr aus Kenya jede Spur. Hinzu kommen Vorwürfe des Justizministers Giannopoulos. Dieser erklärte, es sei bekannt, dass es sich bei dem Offizier um einen auch für den israelischen Geheimdienst tätigen Doppelagenten handle. Im Umkreis des Geheimdienstoffiziers wird daher befürchtet, dass er als Sündenbock für die Verschleppung Öcalans aus der Residenz des griechischen Botschafters in Nairobi in die Türkei herhalten muss.
Zusammen mit den drei Mitarbeiterinnen Öcalans hatte das Athener Büro der politischen PKK-Organisation Nationale Befreiungsfront Kurdistans am Freitag zu einer Pressekonferenz in das Hotel eingeladen, in dem sich die drei Frauen angeblich aufhielten. Die Pressevertreter wurden jedoch von Polizisten daran gehindert, sich dem Hotel zu nähern.  Wer trotzdem in das Hotel gelangte, sah sich dort von Agenten des griechischen Geheimdienstes umgeben, die ausgerechnet von Antonis Naxakis dirigiert wurden, jenem Mann also, den die Regierung für die illegale Einreise Öcalans nach Griechenland Ende Januar sowie dessen dubiose Überführung nach Kenya verantwortlich macht. Naxakis gab dann auch als erster die Absage der Pressekonferenz bekannt.
Diese Ereignisse waren nicht dazu angetan, die griechische Solidarität zu stärken, die sich angesichts der heftigen türkischen Vorwürfe an die Adresse Athens herausgebildet hatte. Nach den wiederholten Behauptungen aus Ankara, Öcalan habe bei seinen Verhören Griechenland als Lieferanten von Waffen für die kurdischen Terroristen bezeichnet, war es zu einer Abschwächung der von allen Oppositionsparteien erhobenen Forderung nach dem Rücktritt des gesamten Kabinetts Simitis gekommen.

Papandreou als politischer Sieger
Fast alle politischen Beobachter in Athen sind sich aber trotz allem darin einig, dass es innerhalb der Opposition keine wirkliche Alternative gibt. Das gelte auch für die konservativ-liberale Nea Dimokratia. Die Wiederherstellung der durch die Affäre Öcalan angeschlagenen politischen Glaubwürdigkeit könne nur durch die regierende Panhellenische Sozialistische Bewegung (Pasok) selbst erfolgen. Im Unterschied zu Ministerpräsident Simitis, dessen Haltung in der Öcalan-Affäre die meisten Griechen als herzlos und bürokratisch empfanden, entwickelt sich der neue Aussenminister Georgios Papandreou immer mehr zum politischen Sieger der jüngsten Krise. Er ist der Sohn des 1996 verstorbenen charismatischen Pasok-Gründers, Andreas Papandreou. Durch sein überzeugendes Auftreten am Mittwoch abend in einer mehrstündigen, auch in die Türkei ausgestrahlten Fernsehsendung und seinen persönlicher Einsatz bei der Ausreise der drei Mitarbeiterinnen Öcalans aus Nairobi gewann er die Sympathien fast aller Griechen. Beobachter sind sich darin einig, dass er eine grosse politische Zukunft vor sich hat.