taz 30.4.1999

Mittler zwischen harten Fronten

Heute soll PKK-Chef Abdullah Öcalan erstmals seinem Richter gegenüberstehen. Auf der Gefängnisinsel Imrali im türkischen Marmarameer beginnt der eigentliche Prozeß gegen den PKK- Vorsitzenden.
Der Prozeß wird, so offiziell, „ununterbrochen“ weiterlaufen und höchstwahrscheinlich mit einem Todesurteil enden. Damit jedenfalls rechnet Ahmet Zeki Okcuoglu, der Öcalans Anwaltsteam koordiniert. Ein Porträt des Advokaten

von Dilek Zaptcioglu
Ich bin fünfzig Jahre alt und habe mein ganzes Leben diesem Kampf gewidmet. Nun will ich endlich in Frieden leben.“ Dieser Wunsch Ahmet Zeki Okcuoglus wird so bald nicht in Erfüllung gehen. Durch das Mandat, das er vor zwei Monaten übernahm, hat er überhaupt keine Ruhe mehr. Von nächtlichen anonymen Anrufen bis hin zu offenen Angriffen auf der Straße reichen die Reaktionen derjenigen, die die Anwälte Abdullah Öcalans am liebsten in dieselbe Zelle mit ihrem ebenso verhaßten Mandanten stecken würden.
Gefängniszellen kennt der Advokat auch von innen, er saß wegen separatistischer Reden oft selbst auf der Anklagebank. Er gab seinen Beruf vor fünf Jahren vorübergehend auf, denn „es war komisch, am selben Tag mal als Verteidiger, mal als Angeklagter in denselben Gerichtssälen aufzutreten“. Als Öcalan im Februar gefaßt wurde, entschloß er sich jedoch sofort, die Verteidigung zu übernehmen, denn: „Das wird der Prozeß des Jahrhunderts.“
Spricht er von seinem Mandanten, tut er dies stets mit der solidarischen Haltung des Gerechten, der einen Kameraden nicht im Stich lassen will, auch wenn er weiß, daß er großen Mist gebaut hat. Abdullah Öcalan - eine Legende. Die ganze kurdische Geschichte dreht sich um solche legendären Aufständler und Rebellen.
Alle siebzehn AnwältInnen Öcalans sind Verfechter der kurdischen Sache.  Viele stammen aus dem Umfeld des Menschenrechtsvereins IHD, der durch seine Nähe zur PKK auffiel. Okcuoglu ist wie Öcalan ein Achtundsechziger. Beide erlebten ihre politische Sozialisierung an Hochschulen. Beide durchliefen das türkische Erziehungssystem, erkannten erst später ihre kurdische Identität und suchten innerhalb der türkischen Linken einen „anderen, kurdischen Weg“ zu gehen.
Für den gut gekleideten, charmant auftretenden Juristen bedeutete dies stets legalen, friedlichen Kampf, während Öcalan sich bekanntlich für rauhere Methoden entschied. Okcuoglu war ein wohlerzogener Beamtensohn und wurde Jurist, Öcalan wuchs als Kind einer siebenköpfigen armen Bauernfamilie auf. Und wenn er nicht selbst in die Berge wollte, so schickte er seine Gefolgsleute dorthin und ließ sie Krieg gegen eine ganze Armee führen.
Das hat Okcuoglu in der Vergangenheit oft kritisiert. Mit Waffen allein, meint er, könne man das System nicht verändern. So geriet er in Konflikt mit der PKK. Öcalan selbst schimpfte heftig über die pazifistischen „kleinbürgerlichen“ Intellektuellen, „diese Anwälte, Ärzte und so weiter“.
Gerüchte über PKK-Todeslisten, auf denen auch Okcuoglus Name gestanden haben soll, dementiert der Anwalt heute. Aber daß er nie ein Freund der PKK war, daraus macht er kein Hehl. Nun, wo Öcalan in Isolationshaft auf die Todesstrafe wartet, scheint er seine Antipathien neu überdacht zu haben. Jedenfalls behauptet Okcuoglu jetzt, die PKK sei niemals eine gewalttätige Organisation gewesen. Okcuoglus Name taucht schon 1969 unter den Gründern der „Revolutionären Östlichen Kulturvereine“ (DDKO) auf, der ersten legalen kurdischen Vereinigung in der Geschichte der türkischen Republik.
Die Initiatoren waren zumeist kurdische Studenten aus den Großstädten, eben die „Kleinbürger“, von denen Öcalan nichts hielt. Okcuoglu studierte damals in Ankara Jura.
Die Vereine etablierten sich in kurzer Zeit auch im Osten und Südosten des Landes. Als die Militärs 1971 putschten, wurden sie geschlossen, ihre Gründer und Anhänger zu Haftstrafen verurteilt. Okcuoglu hatte sich vor dem Putsch eine Zeitlang im Nordirak aufgehalten, wo der türkische Ableger der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) gegründet wurde. Nach seiner Rückkehr mußte er zwei Jahre ins Gefängnis.
Die späten siebziger Jahre brachten, durch eine vom damaligen (und jetzigen) Premier Bülent Ecevit erlassene Generalamnestie, erneut Freiheiten für die Linken. Okcuoglu gründete diesmal die „Revolutionären Demokratischen Kulturverbände“ (DDKD), wobei der Buchstabe „K“ statt „Kultur“ auch für „Kurdisch“ stand. Die Spaltung der Linken brachte ihn jedoch schnell auf andere Bahnen.
Eine Zeitlang sympathisierte er mit der maoistischen „Kawa“. Aber die nach dem legendären kurdischen Schmied - der die Ketten der Tyrannei zu sprengen wußte - benannte Organisaton war für ihn „mehr mit den Fragen der Weltrevolution beschäftigt als mit den Belangen der Kurden“. Er trat aus und schloß mit 29 Jahren sein Jurastudium ab.
Der Putsch von 1980 brachte für Okcuoglu vierzig Tage Haft. Er wurde wegen „Kawa“ vors Gericht gestellt und freigesprochen. In den neunziger Jahren, als er wegen neuer Haftstrafen seinen Beruf vorübergehend einstellte, versuchte er sich als Publizist und Verlagsgründer. Er ist in zweiter Ehe mit der bekannten Anwältin und stellvertretenden Vorsitzenden des Menschenrechtsvereins Eren Keskin verheiratet und hat zwei Kinder.
Okcuoglu nennt sich selbst „Liberaldemokrat“, einer, der nicht mehr an Revolutionen glaubt: „In meinen ersten Studienjahren breiteten wir oft die Türkeikarte vor uns aus und zeichneten Kurdistan ein. Wir fragten uns, wo die Grenzen verlaufen sollten. Weil wir Zugang zum Meer haben wollten, gemeindeten wir auch das nichtkurdische Iskenderun ein. Und warum sollten wir nicht auch zum Schwarzmeer hinaus? Also nahmen wir Trabzon hinzu. Wir betrachteten die Türkei als ein Niemandsland.“
Nachdem sie die Heimat so aufgeteilt hatten, gingen sie zum Iran, Irak und zu Syrien über und gelangten zum Toten Meer. Die Ölfelder wurden dabei nicht beiseitegelassen. „Unsere sozialistische Moral schränkte unsere Ambitionen etwas ein“, erzählt er von diesen Zeiten nicht ohne Ironie, „sonst hätten wir nichts dabei gefunden, alles ringsum zu annektieren und ein Weltreich zu gründen.“
Die kurdischen Intellektuellen genossen damals ihre linke Freiheit, das Unmögliche zu fordern. Okcuoglu führt das auf den typischen Realitätsschwund des Intellektuellen hin. Während die kurdischen Führer Iraks oder Irans in traditionellen, feudalistischen Strukturen eingebettet sind, waren die kurdischen Fürsprecher in der Türkei stets studierte, städtisch sozialisierte Revolutionäre ohne große Bindungen an das Volk der Bauern und Arbeiter.
Der Widerspruch ist nicht zu übersehen: Während sie über die Grenzen „des freien Kurdistans“ theoretisierten, ging es ihnen stets darum, durch die Mehrheitsgesellschaft anerkannt zu werden. Okcuoglus Worte könnte man genauso von den Türken in Hamburg oder Berlin hören: „Ich habe zwei Identitäten und bin stolz darauf. Ich habe nicht die Absicht, auf eine der beiden zu verzichten.“
Die Lösung sieht Okcuoglu in der „Anerkennung mit den zwei Identitäten“ und nicht in Eigenstaatlichkeit. Nur wenn Öcalan gehenkt würde, meint er, würde er den Dialog mit dem Staat völlig abbrechen.

taz Magazin Nr. 5824 vom 30.4.1999 Seite 4
 
 

_Interview mit Ahmet Zeki Okcuoglu, Anwalt des in der Türkei_
_angeklagten PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan_
_“Ihm wird jetzt ein Prozeß gemacht, den er nicht verdient“_
taz: Nach ihrem ersten Besuch bei Ihrem Mandanten haben Sie erklärt, das Mandat wegen massiver Drohungen nicht wahrnehmen zu können. Was hat Sie bewogen, es dann doch zu tun?
Ahmet Zeki Okcuoglu: In den ersten Tagen wären wir fast gelyncht worden.  Wir haben deshalb Schutz durch den Staat verlangt, aber der Staat hat unsere Forderungen überhört. Statt dessen hieß es, wir hätten kalte Füße bekommen. Wir haben dann doch weitergemacht. Der öffentliche Druck hat auch etwas nachgelassen, aber Drohungen gibt es immer noch.
Wie sehen ihre Besuche bei Öcalan aus? Sind vertrauliche Gespräche möglich?
Wir können nie allein mit ihm reden. Die bisher längste Besuchszeit war eine Stunde. Unter den Bedingungen konnten wir über die Fragen, die den Kern der Verteidigung berühren, nicht sprechen.
Wie geht es ihm gesundheitlich? Es gab Gerüchte, daß er sehr krank sei.
Als ich ihn das erste Mal besuchte, sah er schlecht aus. Wie ich nachträglich erfuhr, hing das aber damit zusammen, daß er direkt aus dem Vernehmungszimmer im Keller zu uns gebracht worden war. Ich hatte auch den Eindruck, daß er unter Drogen stand. In den späteren Gesprächen wirkte er dann normal. Auf unsere Fragen, ob er gefoltert wird, antwortete er immer: Nein, keine grobe Folter, aber großer psychischer Druck.
Öcalan hat eine Erklärung verbreiten lassen, in der er für eine friedliche Lösung der Kurdenfrage eintritt und erklärt, er würde gern einen persönlichen Beitrag dazu leisten.
Trotz der negativen Bedingungen, unter denen er sich befindet, zeigt er bei den Gesprächen eine ziemlich optimistische Haltung. Das ist aber auch nicht so überraschend. Seit dem ersten Waffenstillstand hat Öcalan immer zum Frieden aufgerufen. Auch wenn dies von einigen negativen Vorfällen überschattet wurde, verfolgt er diese Linie.
Die Aufrufe der PKK hören sich aber ganz anders an.
Das waren Äußerungen im Zorn, vor allem, nachdem man versucht hat, ihn nach seiner Verhaftung zu erniedrigen. In seiner Person sollte eine Organisation, eine Nation, ein ganzes Volk gedemütigt werden. Dieser Zorn war innerhalb der PKK natürlich noch größer. Trotzdem glaube ich nicht, daß die PKK eine gewalttätige Organisation ist.
Was sagt Öcalan zu den Terrorakten, die die Türkei seit seiner Festnahme erschüttern?
Ich wundere mich manchmal sehr über den Westen. Sie haben eine fortgeschrittene Technik und eine entwickelte Politikwissenschaft.  Trotzdem lassen Sie sich von der Türkei manipulieren. Viele der letzten Terroraktionen wurden von Kreisen innerhalb des türkischen Staates selbst unternommen.
Wie wollen Sie Öcalan verteidigen?
Wir sind jetzt siebzehn Anwälte. Wir werden gemeinsam eine Verteidigungsschrift verfassen, einen umfassenden Text, der in die Geschichte eingehen wird.
Wollen Sie ihre Verteidigung denn auf die Widerlegung konkreter Vorwürfe stützen? Oder wird es eher eine politische Verteidigung?
Sie wird politisch und juristisch sein. Wenn möglich, werden wir von den Vergehen dieses Staates gegen das kurdische Volk berichten.
Glauben Sie, daß Öcalan zum Tode verurteilt wird?
Selbstverständlich. Angesichts der bestehenden Gesetze können sie ihm gar keine andere Strafe geben.
Aber wird die Todesstrafe dann auch vollstreckt?
Ganz sicher, sie werden ihn hängen.
Wenn schon seine Verhaftung einen solchen Zorn ausgelöst hat, was wird dann erst nach seiner Exekution passieren?
Ich kann nur für mich sprechen. Als Demokrat und als Mensch, der in der Kurdenfrage trotz allem bislang gemäßigte und friedliche Ansichten vertreten hat - ich spreche jetzt nicht als Anwalt, sondern als Privatperson - werde ich alle Beziehungen zu diesem Staat abbrechen. Ich werde dann keinerlei Schritte mehr unternehmen, um mich mit dem Staat zu verständigen. Ich schließe dann keine Kompromisse mehr. Das wäre moralisch nicht mehr vertretbar.
Sie als Öcalans Anwalt haben keine Hoffnung mehr?
Wir sind nur eine Handvoll Leute. Wie sollen wir verhindern, was die ganze Welt sehenden Auges zugelassen hat. Was die USA, aber auch Deutschland, England, Frankreich und Italien tun, ist doch reine Komplizenschaft mit der Türkei.
Wäre es besser gewesen, wenn Deutschland die Auslieferung Öcalan verlangt hätte?
Ja. Deutschland hat aber das Recht mit Füßen getreten und de facto mit dafür gesorgt, daß der Mann an die Türkei ausgeliefert wurde.
Was hätten Sie denn von einem Verfahren in Deutschland erwartet?
Es hätte den Weg für ein internationales Verfahren über die Kurdenfrage geebnet. Natürlich muß Öcalan vor ein Gericht. Und wenn er sich strafbar gemacht hat, muß er bestraft werden. Ich streite das nicht ab. Aber jetzt wird ihm ein Prozeß gemacht, den er nicht verdient.

Interview: Dilek Zaptcioglu, Jürgen Gottschlich

(Dilek Zaptcioglu, 39, Autorin der taz, und Jürgen Gottschlich, 44, Türkeikorrespondent der taz, leben und arbeiten in Istanbul und Berlin)