AP, 12.03.1999, 18:37

Athener Parlament beruft Öcalan-Untersuchungsausschuß

Athen (AP) Das griechische Parlament hat am Freitag die Bildung eines Ausschusses zur Untersuchung der Affäre um die Einreise des Kurdenführers Abdullah Öcalan beschlossen. Das aus 31 Abgeordneten bestehende Gremium soll die Rolle der Regierung und einzelner Personen in der Affäre durchleuchten. Ministerpräsident Konstantinos Simitis hatte das Parlament selbst zur Einsetzung des Ausschusses aufgefordert. Simitis hat schon einen juristischen Untersuchungsausschuß ins Leben gerufen, aufgrund dessen Ermittlungen am Donnerstag 18 Personen angeklagt wurden.

       Er erklärte, Öcalan sei von einer Gruppe von Geheimdienstlern, Exmilitärs und politischer Freunde des Chefs der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) am 29. Januar ohne sein Wissen nach Griechenland eingeschleust worden, um die Regierung zu zwingen, ihm politisches Asyl zu gewähren. Dies sei aber stets abgelehnt worden. Die Affäre hat schon drei Minister das Amt gekostet, darunter Außenminister Theodoros Pangalos. Öcalan wurde schließlich in die griechische Botschaft in Kenia abgeschoben und dort bei seiner versuchten Ausreise von türkischen Agenten entführt. Seitdem wartet der PKK-Chef auf der Gefängnisinsel Imrali im Marmarameer auf seinen Prozeß.



 
 

Neue Zürcher Zeitung, 13.03.1999

Athen bemüht sich um Klärung der Affäre Öcalan
Beginn einer Untersuchung im griechischen Parlament

 H. G. Athen, 12. März
 Griechenlands politischer Dauerbrenner der letzten vier Wochen, die Affäre Öcalan, hat vor der Justiz und einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss jenen Platz gefunden, an den sie schon längst gehört hätte. Die heftige Auseinandersetzung darüber, ob die Einschleusung des PKK-Chefs in griechisches und später kenyanisches Hoheitsgebiet das Werk von Privatleuten, Geheimagenten und versagenden Ministern gewesen ist oder ob die Verantwortung dafür der gesamten Regierung Simitis angelastet werden kann, verspricht damit endlich in sachlichere und ruhigere Bahnen zu münden.
 Den Anfang hat am Donnerstag die Athener Staatsanwaltschaft mit der Erhebung einer Anklage gegen 18 Personen, einschliesslich Öcalan, gemacht. Sie sollen Ende Januar in die illegale Verbringung des Kurdenführers nach Griechenland verwickelt gewesen sein. Die Staatsanwälte forderten die Aufhebung der Immunität eines Abgeordneten und verlangten weiter, dass sich das Parlament mit der politischen Verantwortung von Regierungsmitgliedern befasse. Ihr Verlangen wurde von der rechten und der linken Opposition begrüsst, während der sozialistische Regierungssprecher dagegen Vorbehalte anmeldete. Der bis dahin in der Öcalan-Affäre am stärksten beschuldigte ehemalige Aussenminister Pangalos gab sich gelassen.
 Die in den griechischen Medien lebhaft geführte Diskussion, ob in den Aufzeichnungen des Botschafters in Nairobi mit dem Decknamen «der grosse Sänger» Pangalos oder Ministerpräsident Simitis als Hauptverantwortlicher gemeint gewesen sei, ergab am Freitag eine Entlastung des Aussenministers. Doch auch der Verdacht gegen Simitis erhärtete sich nicht. Öcalans Anwalt Phailos Kraniditotis gab den Namen seines Hauptgesprächspartners auf Regierungsseite in den letzten Tagen vor der Verschleppung des PKK-Führers aus Kenya in die Türkei bekannt. Es handelt sich dabei um einen Vertrauensmann Simitis', den Kabinettssekretär Kosmidis. Kranidiotis will diesen auch ausdrücklich auf die Vorbereitung kurdischer Aktionen gegen griechische Vertretungen in ganz Europa hingewiesen haben, falls Öcalan in Nairobi in türkische Hand fallen sollte. Diese Warnung wurde aber nicht weitergeleitet. So wäre in Wien um ein Haar Griechenlands Staatsoberhaupt Stephanopoulos kurdischen Botschaftsbesetzern in die Hände gefallen, wenn er sich bei seinem Staatsbesuch etwas länger dort aufgehalten hätte.
 Die Parlamentsdebatte zur Einsetzung des von der Regierung vorgeschlagenen Untersuchungsausschusses begann mit einem Misston, da der vertrauliche Bericht der Staatsanwälte an die Abgeordneten wegen einer Indiskretion bereits in einer Zeitung erschienen war. Dennoch entschlossen sich am Freitag abend alle Parteien zur Mitarbeit in dem Gremium, das auch dazu befugt wäre, Minister und selbst den Ministerpräsidenten in Sachen Öcalan zur Rechenschaft zu ziehen.