Frankfurter Rundschau 13.3.99

Faires Verfahren für Öcalan?
Verteidiger: Viele Verstöße

Von Edgar Auth
Der türkische Anwalt Ahmet Zeki Okcuoglu beklagt gravierende Behinderungen und fehlende Rechtsstaatlichkeit im Verfahren gegen seinen Mandanten, den in die Türkei verschleppten PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan. Zugleich fordert eine internationale Initiative angesehener Persönlichkeiten die Freilassung Öcalans und ein internationales rechtsstaatliches Verfahren gegen ihn.
Öcalans Verteidiger Okcuoglu hat in einem langen Brief an Staatspräsident Suleyman Demirel die Mängel im Verfahren gegen Öcalan zusammengestellt. Er verlangt eine Garantie für die Sicherheit des Lebens der Öcalan-Anwälte.
Bislang sei es ihm nicht gelungen, die für die Verteidigung notwendige notarielle Vollmacht zu erlangen, schreibt Okcuoglu. Die zuständige Generalstaatsanwaltschaft von Mudanya habe die Teilnahme eines Notars am ersten Anwaltsgespräch mit Öcalan verweigert und mitgeteilt, dies falle in die Zuständigkeit eines „Krisenstabs“. Auf die Frage, wo sich dieser befinde, habe die Anklagebehörde mitgeteilt: „Das weiß ich nicht“.
Ein Bruch türkischen Rechts ist es nach Okcuoglus Meinung auch, daß Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali auf militärischem Gebiet inhaftiert ist.  Das Gesetz schreibe vor, Gefangene unter Aufsicht des Justizministeriums zu stellen. Es gebe in der Türkei auch sichere Orte, wo dies möglich sei.  Öcalan habe ihm gesagt, daß er völlig von der Außenwelt abgeschnitten sei, weder Radio noch Zeitungen oder Briefe empfangen könne. Auch dies schränke das Recht auf Verteidigung ein.
Die Ermittlungen des Staatssicherheitsgerichts unterliegen nach Okcuoglus Angaben der Geheimhaltung. Dieses Verfassungsprinzip sei aber sogar durch Staatsanwälte „im Kern“ verletzt worden, die öffentliche Erklärungen zum Fall Öcalan abgegeben hätten. Rechtswidrigerweise griffen die Behörden hier nicht ein. „Es ist gesetzlich verboten, Behauptungen aufzustellen, die ... geeignet sind, die freie Willensbildung der Richter ... zu beeinflussen“, fährt der Anwalt in dem der FR vorliegenden Schrieben fort.  Öcalan aber werde in sämtlichen Medien vorverurteilt, obwohl er derzeit nur als Verdächtiger zu gelten hätte.
Verletzt sieht Okcuoglu auch das Recht auf den geheimen und ungehinderten Kontakt eines Angeklagten mit seinen Anwälten. In bestimmten Fällen könne ein Richter zugezogen werden. Im Fall Öcalan aber habe der zugezogene Richter die Funktion gehabt, Gespräche zwischen Anwälten und Beschuldigtem zu unterbinden. Daß - wie berichtet - zwei maskierte Angehörige des „Amts für spezielle Kriegsführung“ bei dem Treffen zugegen waren nennt Okcuoglu eine „schwere Rechtsverletzung“.
Die türkische Botschaft in Bonn hatte es dagegen kürzlich als „wahrheitswidrig“ bezeichnet, wenn behauptet werde, daß Anwälte nicht mit Öcalan sprechen dürften. Diese müßten sich nur an die zuständige Staatsanwaltschaft wenden. Generell sei die türkische Justiz „absolut und bedingungslos unabhängig“. Zugleich kündigte die Vertretung der Türkei an, die Festnahme Öcalans werde es ermöglichen, die „Kollaboration ausländischer Kreise“ mit der PKK und deren Anteil unter anderem an Geldern aus dem Drogenhandel „vor Gericht zu bringen“.
Dagegen meint eine internationale Initiative „Freiheit für Abdullah Öcalan/ Frieden in Kurdistan“, „vor dem türkischen Gericht ist kein ,fair trial’ denkbar“. Sie fordert „ein rechtsstaatliches Verfahren für Öcalan vor einem internationalen Gerichtshof“. Zu ihr gehören die deutschen Professoren Elmar Altvater, Helmut Dahmer, Uwe Jens Heuer, Roland Mönch, Wolf-Dieter Narr, Norman Paech, Werner Ruf, Gerhard Stuby und Jürgen Waller; ferner die Nobelpreisträger Adolfo Perez Esquivel, Dario Fo, Mairead Maguire, Jose Ramos Horta und Jose Saramago sowie Danielle Mitterrand (Stiftung France Liberté), die italienische Künstlerin Gianna Nannini und der Brite Tony Benn.