Neues Deutschland 12.3.99

Prozeß »ohne rechtliche Schranken«
Öcalans Verteidiger klagen über Behinderungen

Von Rainer Schultz,
In knapp zwei Wochen soll der Prozeß gegen den »Staatsfeind Nr. 1 « der Türkei beginnen. Daß es zu einem fairen Verfahren für PKK-Chef Öcalan kommt, ist bisher nicht zu erkennen.

Am 24. März soll der Prozeß gegen Adullah Öcalan, den Vorsitzenden der kurdischen Arbeiterpartei (PKK), beginnen, der seit dem 15. Februar auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali in Isolationshaft gehalten wird. Dazu wird das berüchtigte Staatssicherheitsgericht von Ankara auf die Insel verlegt werden. Die Region rund um das Eiland ist seit dem 2. März militärisches Sperrgebiet. Während die türkische Regierng beteuert, daß eine rechtmäßige Verteidigung des PKK-Chefs gesichert sei, sind die Rahmenbedingungen für den Prozeß weitgehend unklar. Eine offizielle Anklageschrift der Staatsanwaltschaft existiert bisher nicht. Auch der Termin des Prozeßbeginns ist noch nicht amtlich.

Keine unbeobachteten Gespräche mit Anwälten
Vorgeworfen wird dem 50jährigen Kurden »Separatismus« und »Hochverrat«. Er sei als Anführer der »berüchtigtsten Terrororganisation der Welt«, so Ankara, verantwortlich für die mehr als 30 000 Toten, die es seit dem Beginn des bewaffneten Kampfes der Kurden für Autonomie vor 15 Jahren gegeben hat. Der Versuch, auch. ohne Anwendung von Gewalt »Teile des Staatsgebiets aus dem Staatenverband zu lösen«, erfüllt in der Türkei einen Straftatbestand, auf den die Todesstrafe steht.
Um die drohende Höchststrafe für den PKK-Vorsitzenden abzuwenden, fordern seine Anwälte die Möglichkeit einer »angemessenen Verteidigung» in einem »fairen Prozeß». Dazu zählen insbesondere unbeobachtete Gespräche mit Rechtsanwälten seiner Wahl. Die wurden bisher nicht gewährt. Trotz diverser Besuchsanträge seiner beiden türkischen Verteidiger, Ahmet Okcuoglu Und Hatite Korkut, wurde bisher nur ein 20minütiges, vor maskierten Soldaten, überwachtes Gespräch mit dem Gefangenen genehmigt. Herr Okcuoglu bemühe sich aber täglich um eine zweite Besuchserlaubnis, berichtet die jetzt gegründete Internationale Initiative »Freiheit für Abdullah Öcalan und, Frieden in Kurdistan«.
Die beiden türkischen Anwälte forderten in einem Interview, den »politischen Druck von außen« zu verstärken, um einen »fairen Prozeß nach internationalen Maßstäben« zu ermöglichen. Berichte der türkischen Regierung" Öcalan habe normale Haftbedingungen, wies das Juristen-Duo entschieden zurück. Es verwies in einer Presseerklärung darauf, daß sein Mandant sich während des Besuches darüber beschwert habe, »nicht einmal über, Stift oder Papier« zu verfügen. Von einer an gemessenen Verteidigungsvorbereitung könne nicht die Rede sein.
Ausländische Rechtsanwälte dürfen bisher auch als Beobachter nicht in die Türkei einreisen. Das empfinde die Regierung als Einmischung in ihre »staatlichen Souveränitätsrechte«. In der vergangenen Woche befand sich zwar eine Delegation des Anti-Folter-Komitees vom Europarat bei Öcalan. Sie sollte u.. a. seine Haftbedingungen prüfen. Ihr Bericht darf aber nur mit Zustimmung der betroffenen Regierung veröffentlicht werden. Wohl deshalb ist noch nichts über die Untersuchung bekannt.
Eine freie Berichterstattung wird auch durch die Nichtzulassung von Prozeßbeobachtern verhindert. Lediglich eine norwegische Parlamentsdelegation wurde bisher - unter dem Vorbehalt, sich nicht als Beobachter zu bezeichnen - in die Türkei eingeladen. Noch schwieriger dürfte das für kurdische Medien werden." Abgesehen davon, daß sie in der Türkei ohnehin verboten sind: Anfang der Woche forderte Ankaras Ministerpräsident Bülent Ecevit die Regierungschefs der EU- und NATO-Staaten dazu auf, die aus Brüssel sendende kurdische Fernsehstation »Med-TV« und die Zeitung »Özgür Politika« wegen»Aufforderung zu terroristischen Angriffen« zu verbieten.

Freilassung Voraussetzung für politischen Dialog
Die Zugespitzte Situation in der Türkei dürfte sich weiter verschärfen, seitdem sich die Meldungen häufen, daß sich Öcalans Gesundheitszustand verschlimmere. Wie der »Stern« am Donnerstag berichtete, hält ein Bruder des Inhaftierten, Osman Öcalan, die Freilassung> von. »Apo«. Und seine Anerkennung als Vertreter des kurdischen Volkes für die Voraussetzung eines politischen Dialogs. Andernfalls sei die PKK gezwungen, »auf eine kriegerische Lösung zu setzen«. Die Föderation kurdischer Vereine (YEK KOM) zählt Osman, Öcalan zum Führungsgremium der PKK, dessen Vorsitzender aber sein Bruder bleiben soll - solange er lebt.