Frankfurter Rundschau, 06.03.1999

Straßburg
Richter mahnen fairen Prozeß für Öcalan an
STRASSBURG, 5. März (afp/dpa). Der Europäische
Menschenrechtsgerichtshof hat die Türkei gemahnt, die Rechte des inhaftierten PKK-Chefs Abdullah Öcalan zu respektieren. Wie am Freitag aus dem Europarat in Straßburg bekannt wurde, forderten die Richter die Türkei auf, den Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention einzuhalten, der das Recht auf einen fairen Prozeß garantiert. Zudem müsse der Angeklagte das Recht erhalten, von einem Anwalt seiner Wahl verteidigt zu werden. Der Gerichtshof erinnerte an seine früheren Urteile, wonach die türkischen Staatssicherheitsgerichte mit der Menschenrechtskonvention unvereinbar sind. Vor einem solchen Gericht soll der Prozeß gegen Öcalan stattfinden.
Ankara hat sich indessen verpflichtet, Angehörigen von zwei gefolterten und ermordeten Kurden eine Entschädigung von umgerechnet rund 300 000 Mark zu zahlen. Die Angehörigen der Ermordeten hatten in der Türkei erfolglos gegen die verantwortlichen Polizeikräfte geklagt und in Straßburg den türkischen Justizbehörden Schlamperei vorgeworfen.
 

junge Welt, 06.03.1999

Ohne Papier und Bleistift
Strasbourger Gerichtshof verlangt fairen Prozeß gegen Öcalan
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strasbourg hat die Türkei in einer Eilentscheidung am späten Donnerstag abend aufgefordert, die Rechte des inhaftierten PKK-Chefs Abdullah Öcalan zu wahren. Die türkische Regierung wird verpflichtet, den Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention einzuhalten, der Öcalan das Recht auf einen fairen und gerechten Prozeß garantiert. Zudem müsse der PKK-Chef das Recht erhalten, von Anwälten seiner Wahl verteidigt zu werden. Dazu gehört auch die Möglichkeit zu einer effektiven Beratung mit seinen Anwälten ohne Überwachung.
Einer der Anwälte Öcalans, Hans-Eberhard Schultz, bewertete gegenüber jW diese Entscheidung als »wichtigen Teilerfolg«, der zwar nicht im juristischen Sinne vollstreckbar sei, jedoch kaum von der türkischen Regierung ignoriert werden könne. Schultz, der nun die Möglichkeit hat, den türkischen Anwälten Öcalans in den kommenden Verfahren zu assistieren, hat umgehend über die deutsche Botschaft in Ankara eine Besuchserlaubnis beantragt, um sich mit Öcalan zu beraten.
Der Gerichtshof in Strasbourg erinnerte an seine früheren Urteile, wonach die türkischen Staatssicherheitsgerichte mit der Menschenrechtskonvention unvereinbar sind. Vor einem solchen Gericht soll ein erster Prozeß gegen Öcalan, der eine Rede Öcalans in dem kurdischen Fernsehsender Med-TV zum Inhalt hat, am 24. März beginnen.  Die in Bremen und Amsterdam ansässigen Anwälte Öcalans begrüßten die Stellungnahme des Gerichts. Sie forderten die türkische Justiz auf, den Forderungen aus Strasbourg »schnell und ohne Wenn und Aber« nachzukommen. Ihren Angaben zufolge haben sich in der Türkei mittlerweile hundert Anwälte bereiterklärt, Öcalan zu verteidigen.
Die Anwälte wiesen in einer Pressemitteilung darauf hin, daß das Recht Öcalans auf eine effektive Verteidigung seit seiner Verschleppung erheblich verletzt wurde: Öcalan war zehn Tage gänzlich ohne anwaltliche Verteidigung, ebenso bei umfangreichen Verhören sowie bei der Haftbefehlseröffnung. Dem Angeklagten wurden selbst Papier und Bleistift zur Vorbereitung seiner Verteidigung gegen die weitreichenden Anschuldigungen verweigert. Der Europäische Gerichtshof wird sich in den nächsten Wochen mit den weiteren Beschwerdekomplexen Öcalans bezüglich seiner völkerrechtswidrigen Verhaftung und Verschleppung in die Türkei und seiner Haftsituation befassen.