Internationaler Menschenrechtsverein Bremen e.V.  
16.02.99
Presserklärung: 

Öcalans Verschleppung zementiert pro-Kriegs-Haltung Europas 
Schily nährt mit Abschiebedrohung weitere Zuspitzung der Gewalt 

Anläßlich der Verschleppung Abdullah Öcalans in die Türkei hat der Internationale Menschenrechtsverein zum 17.02.99 weit über 100 Seiten mit Artikeln aus der  internationalen Tagespresse ausgewertet. Wäre vorher nur halb so viel Mühe und Papier darauf verwendet worden, der europäischen Öffentlichkeit Wesen und Ausmaß des türkischen Vernichtungsfeldzuges gegen das kurdische Volk nahezubringen, wären einige menschliche Katastrophen vielleicht zu verhindern gewesen. 
Die gegenwärtige Diskussion um Abdullah Öcalan darf nicht außer Acht lassen, daß mit dem gemeinsamen Handeln von Türkei, Israel und USA einerseits und den wichtigsten Ländern der EU andererseits eine wichtige Chance für Frieden im Mittleren Osten sprichwörtlich aufs Schafott geführt worden ist. Seit 1993 hat die Arbeiterpartei Kurdistans dreimal einen einseitigen Waffenstillstand ausgerufen, und Abdullah Öcalan ist ursprünglich mit einem Gewaltverzicht und dem Drängen auf  eine politische Lösung des Kurdenproblems nach Europa eingereist. Daß diese Möglichkeit nicht wahrge nommen wurde, ist schlimm genug. Treffend hat die kurdische Organisation Hevgirtin Welatparez bezüglich der Europäischen Union vom Verhalten der drei Affen gesprochen. Daß Abdullah Öcalan aber, anstatt ihn wenigstens in Europa vor ein internationales Tribunal zu stellen, in einer völkerrechtswidrigen Geheimdienstaktion gekidnappt und nach Ankara verschleppt wurde, kommt der Beihilfe zum Mord gleich. Denn wer den hetzerischen, antikurdisch-rassistischen Tenor der türkischen Medien seit November mit seinen unverhüllten Morddrohungen an Oppositionellen und MenschenrechtlerInnen verfolgt hat, wer gesehen hat, wie im Vorfeld des Verbotsverfahrens gegen die parlamentarische pro-kurdische HADEP faschistische Schlägertrupps und Lynchmobs gemeinsam mit der Polizei mehrere kurdische Demonstranten totschlugen oder zu Tode folterten, wird sich denken können, welche Pogrome KurdInnen und andere Minderheiten jetzt zu befürchten haben, wo sich der türkische Chauvinismus und militante Nationalismus in einem Siegestaumel wähnt. Während Krieg und Menschenrechtsverletzungen in den kurdischen Gebieten in der neuen Situation einen weiteren grausamen Höhepunkt erleben werden, weil die Armeeführung und die Regierung die Option einer „Endlösung“ der kurdischen Frage für realistisch halten, droht den Metropolen der Westtürkei mit ihren mehreren Millionen  kurdischen Flüchtlingen in den Slums ein blutiger Straßenkrieg. Daß die Situation so aussieht, liegt nicht zuletzt in der Verantwortung europäischer Staaten wie der Bundesrepublik, die sich um eine diplomatische Intervention gegen die Türkei - geschweige denn eine Initiative zu einer politischen Lösung - seit Jahren drücken, weil sie aus Rüstungshandel und wirtschaftlichen Joint-Ventures mit der Türkei zu große Gewinne schöpfen. Deshalb - so unsere Einschätzung - unterlag dem zurückhaltenden Gerede über ein europäisches Gerichtsverfahren gegen Öcalan stets der Plan, ihn zu jagen und in die Türkei zu verschaffen, damit er dort zerstört werde -ohne daß Europa sich mit rechtlichen Problemen einer  Auslieferung an die diktatorische Türkei auseinandersetzen müßte. 
Hierbei wird in der selben türkischen Logik mit der “Kurdenfrage”umgegangen. Eine Lösung, so weiß man seit Jahren wird es ohne die Pkk nicht geben. Denn der Widerstand PKK ist eine Reaktion auf die jahrelange Unterdrückung der Kurden in der Türkei, die nur mit Gewalt gelöst werden sollte. Und genauso verhalten sich nun auch die westlichen Staaten, da sie durch die Hilfe bei der Verhaftung Öcalans das Militärregime in der Türkei  direkt stützen und politisch aufwerten. Die  militärische Logik hat sich mal wieder durchgesetzt. 
Diesem Verdacht entspricht die Tatsache, daß die rot-grüne Bundesregierung nicht nur Beteiligung, sondern sogar auch jegliches diplomatisches Wissen über die 
mehrwöchige internationale Geheimdienstoperation gegen Öcalan abstreitet und gleichzeitig auf die dadurch entstandene Situation lediglich mit Gewalt und Rassismen antwortet. In einem Atemzug läßt sich der sozialdemokratische Innenminister Otto Schily darüber aus, daß Öcalan doch in der Türkei bitte ein rechtstaatliches Verfahren zukommen solle - und fordert in einem hinterlistigen Echo der rassistischen CDU/CSU-Kampagne die Abschiebung aller KurdInnen, die sich an “Straftaten” beteiligen. Nun ist 1996 unter Mitwirkung Schilys durch eine Änderung des Ausländergesetzes die bloße Teilnahme an einer verbotenen Demonstration zu einem Straftatbestand erklärt worden, der Abschiebung nach sich zieht. Seit dem sogenannten PKK-Verbot von 1993 aber können und werden kurdische politische Aktionen nahezu willkürlich verboten. Der Internationale Menschenrechtsverein Bremen ist angesichts der reißerischen Erklärungen des Verfassungsschutzes und der Regierung in tiefer Sorge über konzertierte Angriffe auf KurdInnen, die sich an Protesten gegen die Verschleppung Öcalans beteiligen. 
Während das PKK-Verbot die Außenpolitik der Bundesrepublik und ihre Interessen in der Türkei widerspiegelt, bedient der naive Appell nach einem fairen Verfahren für Öcalan in der Türkei die Logik der Bundesämter und Verwaltungsgerichte, die bei Abschiebungen von KurdInnen in die Türkei wegen des dortigen “Menschenrechtsschutzes” keinerlei Gefahr für Leib und Leben ausmachen wollen. 
Um die rechtlichen und menschenrechtlichen Konsequenzen der Abschiebung kurdischer Flüchtlinge in den Folterstaat Türkei kümmert sich Schily einen Dreck. Während die Diskussion über Menschenrechtsverletzungen durch Abschiebungen aufgrund der sich häufenden Berichte über schwere Folter an abgeschobenen kurdischen Flüchtlingen von Flüchtlingsräten, Amnesty International und Grünen Bundestagsabgeordneten immer heißer wird, benutzt Schily die in der angespannten Atmosphäre von deutschen Sicherheitskräften provozierten Zusammenstöße dazu, wieder einmal die Leier „kriminelle Ausländer raus!“ anzustimmen und gerade dann die Massenabschiebungen von KurdInnen zu forcieren, wenn sie in der Türkei nun wirklich nicht die geringste Überlebenschance haben - zur Zeit eines Schauprozesses gegen Abdullah Öcalan, durch den sich jetzt schon fast alle KurdInnen persönlich verurteilt und mit der Todesstrafe bedroht fühlen. Die Bundesregierung, insbesondere Innenminister Schily und Außenminister Fischer, müssen jedwede Beteiligung an Morden und Folter an Abdullah Öcalan und  jeglichen anderen Oppositionellen in der Türkei sofort einstellen. 

Dazu gehören: 

  • Eine glaubhafte Initiative zur Sicherstellung der Unversehrtheit Öcalans und für ein faires,rechtsstaatliches Verfahren vor einem internationalen Tribunal 
  • Die sofortige Einstellung von Waffenlieferungen und Finanzhilfe an die Türkei 
  • Ein sofortiger und uneingeschränkter Abschiebestop für kurdische Flüchtlinge 
  • Entkriminalisierung der Problematik durch bedingungslose Aufhebung des PKK-Verbotes