Berliner Zeitung, 26.6.99

Schilys Aussage soll juristisch erstritten werden
Kurden-Ausschuß vernahm Leiter der Bereitschaftspolizei

Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) soll notfalls per Gericht gezwungen werden, vor dem Berliner Kurden-Untersuchungsausschuß auszusagen. Die mögliche Klage habe der Ausschuß einvernehmlich beschlossen, sagte Ausschußvorsitzender Wolfgang Wieland (Grüne) am Freitag nach der Sitzung: "Wir werden nicht hinnehmen, daß Bonn weiter mauert", sagte er. In den nächsten Tagen werde in Bonn entschieden, ob Schily vom Kabinett eine Aussagegenehmigung bekommt.

Bislang sind Schily und der Leiter des Bundesverfassungsamtes, Peter Frisch, für nächsten Freitag als Zeugen geladen. Außenminister Joschka Fischer (Grüne) wurde vom Bundeskabinett die Aussagegenehmigung verweigert. Seine Aussage sei aber für den Untersuchungsausftrag nicht so wesentlich, meinte Wieland.

Zuvor hatte der Ausschuß, der die Umstände der tödlichen Schüsse im israelischen Generalkonsulat von Mitte Februar aufklären soll, den Chef der Landesschutzpolizei, Gernot Piestert, und den stellvertretenden Abteilungsführer der 2. Bereitschaftspolizei, Günter Neumann, vernommen. Neumann war am 17. Februar, dem Tag der tödlichen Schüsse, für den Einsatz der Bereitschaftspolizei verantwortlich. Er sagte unter anderem, daß er von einer möglichen Gefährdung des Konsulats in erster Linie aus den Zeitung- und Rundfunkberichten erfahren habe. Über Details der Objektschutzmaßnahmen vor dem Konsulat, für die die Polizeidirektion zuständig war, habe er ebenso wenig gewußt wie über die Sicherungseinrichtungen im Generalkonsulat selbst.

Wieland bezeichnete die mangelnde Kommunikation zwischen den Polizeiebenen als "erschütternd". Was nützten Besprechungen auf Direktionsleiterebene oder im Führungsstab, wenn der Führer der Bereitschaftspolizei dann die Einsatzentscheidungen alleine treffen müßten, fragte er. Andreas Gram (CDU), sagte dagegen, der Berliner Polizei könnten bei dem Einsatz keinerlei Fehler nachgewiesen werden. (tom.)

DIE WELT, 26. 06. 1999

Deutsche Polizei in Alarmbereitschaft wegen Öcalan Innenminister Schily: Im Fall der Todesstrafe muß in der Bundesrepublik mit Gewalttaten von Kurden gerechnet werden

Von Peter Scherer Frankfurt/Main ­ Die Polizeikräfte des Bundes und der Länder befinden sich in erhöhter Einsatzbereitschaft. Der Grund: Am nächsten Dienstag soll das Urteil gegen den Führer der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), Adullah Öcalan, verkündet werden. Wird gegen Öcalan die Todesstrafe verhängt, ist nach Einschätzung von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) nicht auszuschließen, daß es auch in Deutschland zu Gewalttaten von Kurden kommt. Man sei jedoch "auf alles" vorbereitet, sagt der Minister. Ein Todesurteil würde aus seiner Sicht zu einer erheblichen Belastung der Beziehungen zwischen der Türkei und den Staaten der Europäischen Union führen.

Der Verfassungsschutz glaubt allerdings nicht, daß der Bundesrepublik schon bei der Verkündung eines möglichen Todesurteils für den PKK-Chef massive gewalttätige Ausschreitungen drohen. Nach allen bisherigen Signalen aus der kurdischen Szene müsse damit aber spätestens bei der Vollstreckung gerechnet werden.

Gleichwohl laufen die in enger Kooperation zwischen den Sicherheitskräften des Bundes und der Länder abgestimmten Vorbereitungen auf den Tag X bereits auf vollen Touren: Bundesgrenzschutz und örtliche Polizeibehörden haben ihre Personalpräsenz erhöht, Personalreserven in Rufbereitschaft versetzt und detaillierte Alarmpläne ausgearbeitet. Diese orientieren sich an einem dreistufigen Eskalationsraster, das von einer Bund-Länder-Kommission erarbeitet wurde und lageangepaßt die jeweiligen personellen, technischen und logistischen Modalitäten für den Einsatz definiert.

"Eskalationsstufe eins" wird für die Urteilsverkündung erwartet. Die Sicherheitsbehörden rechnen an diesem Tag mit "Spontanreaktionen", die nach ihren bisherigen Erkenntnissen aber noch überwiegend gewaltfrei sein dürften.

Unterdessen hat die Polizei Banken, Reisebüros, Fluggesellschaften sowie staatliche oder halbstaatliche Einrichtungen besonders der Türkei, Israels, Griechenlands und der USA intensiv über eine Verbesserung der Eigenschutzmaßnahmen beraten. Speziell für Botschaften und Konsulate sind die Sicherheitsmaßnahmen massiv verschärft worden. So wurde zum Beispiel am Freitag in Frankfurt am Main das ohnehin schon stark bewachte und mit Stacheldraht abgesicherte Gebäude des türkischen Generalkonsulats noch zusätzlich mit schweren Betonsperren umgeben, um so einen möglichen Durchbruch von Selbstmordkommandos zu verhindern.