junge Welt 17.06.1999

Der falsche Schmidt Berlin: Prozeß gegen Kurden wegen Teilnahme an Öcalan-Demo eröffnet.

Ein Gerichtsreport von Peter Murakami
Wenn man schon die Todesschützen nicht verurteilen kann, die am 17. Februar dieses Jahres auf dem Gelände des israelischen Generalkonsulates in Berlin vier kurdische Demonstranten aus »Notwehr« hinterrücks erschossen haben, muß man sich eben an den Überlebenden schadlos halten. Unter diesem Motto scheint der Prozeß gegen den 34jährigen Mehmet K. zu stehen, der sich seit Mittwoch vor dem Berliner Landgericht wegen schwerem Landfriedensbruch verantworten muß. Die Anklage wirft Mehmet K. vor, am 17.Februar unweit des israelischen Konsulats aus einer Menge von rund 100 Demonstranten heraus einen Polizisten mit einer eisernen Gerüststange geschlagen und ihm damit eine fünf mal fünf Zentimeter große Prellung zugefügt zu haben. Im dritten Prozeß um die Auseinandersetzungen zwischen Polizisten und aufgebrachten Kurden, die wegen der Verhaftung des PKK-Chefs Abdullah Öcalan das israelische Generalkonsulat in der Schinkelstraße besetzen wollten, ließ die Staatsanwaltschaft keinen Zweifel daran aufkommen, daß sie hart gegen den Angeklagten vorgehen wollte. Die ersten beiden Verfahren, die bereits Anfang Mai vor dem Jugendschöffengericht stattfanden, endeten jeweils mit einem Urteil von vier Wochen Dauerarrest für die jugendlichen Angeklagten. Schon die Entscheidung, dieses Verfahren vor einer Großen Strafkammer statt vor dem Amtsgericht durchzuführen, gab zu der Befürchtung Anlaß, daß die Anklagebehörde die einschlägigen Vorschriften bis an die Grenze ihrer Dehnbarkeit ausweiten würde, um den Kurden möglichst hart zu verurteilen. Gegen die ihrer Auffassung nach unrechtmäßige Entscheidung, den Prozeß vor einer Großen Strafkammer zu verhandeln, legten die Verteidiger des Kurden Widerspruch ein. Rechtsanwalt Proell argumentierte, daß selbst die weitaus schwerwiegenderen Mai-Krawalle lediglich vor einem erweiterten Schöffengericht verhandelt wurden. Dies nähre den Verdacht, daß es sich bei dem Prozeß um ein »politisches Verfahren« handele, erklärte der Verteidiger. Nach kurzer Beratung lehnte die Kammer den Widerspruch ab und signalisierte damit, daß sie geneigt ist, im Sinne der Staatsanwaltschaft zu urteilen, die bereits im Vorfeld bekanntgab, daß sie für im Zusammenhang mit den Protesten verhaftete Kurden von Strafen von »mindestens vier Jahren« ausgeht. Eine Strafhöhe, die mit einer sogenannten Ausweisungsverfügung verknüpft ist und für Mehmet K. eine Abschiebung in die Türkei bedeuten würde.

Die versuchte Erstürmung der israelischen Botschaft spielt in diesem Prozeß noch keine Rolle und soll erst zu einem späteren Zeitpunkt verhandelt werden. Immer wieder geriet der Prozeß ins Stocken, weil die Vorsitzende mehr oder weniger begeistert über die Anträge der Verteidigung entscheiden mußte. Die schwerwiegendste Unterbrechung kam jedoch dadurch zustande, daß der als Hauptbelastungszeuge geladene Polizeiobermeister Schmidt nicht zur Verhandlung erschienen war. Das fiel der Kammer allerdings erst auf, nachdem der ebenfalls als Zeuge geladene Namensvetter des besagten Polizeiobermeisters bereits eine geschlagene halbe Stunde ausgesagt hatte. Erst auf Nachfragen stellte sich heraus, daß man den falschen Schmidt geladen hatte. Weil der echte auf die Schnelle nicht mehr aufzutreiben war, wird der ursprünglich auf einen Verhandlungstag terminierte Prozeß voraussichtlich in der kommenden Woche mit Zeuge Schmidt zwei fortgesetzt.