Berliner Zeitung 16.6.99

Erster Prozeß gegen Kurden vor dem Landgericht
Anklage wegen Körperverletzung und schweren Landfriedensbruchs / Ermittlungen gegen 140 Personen

Von Tobias Miller

Vier Monate nach den zum Teil gewalttätigen Kurden-Demonstrationen in Berlin beginnt am heutigen Mittwoch vor dem Landgericht die juristische Aufarbeitung der Vorfälle. Ein 34jähriger Kurde muß sich wegen gefährlicher Körperverletzung und eines "besonders schweren Falls des Landfriedensbruchs" verantworten. Er soll am 17. Februar in der Nähe des israelischen Generalkonsulats einen Polizeibeamten angegriffen und verletzt haben. An dem Tag hatten Kurden versucht, das israelische Generalkonsulat zu besetzen. Dabei waren vier Kurden von israelischen Sicherheitsbeamten erschossen worden.

Nach Angaben der Justiz ist die Verhandlung gegen den 34jährigen bislang nur für einen Tag angesetzt. Möglicherweise gibt es bereits am Nachmittag ein Urteil.

Das Strafmaß allein für schweren Landfriedensbruch könne zwischen sechs Monaten und zehn Jahren betragen, sagte Justiz-Sprecherin Michaela Blume am Dienstag. Der Angeklagte hat bislang zu den Vorwürfen geschwiegen. Seit der Tat sitzt er in Untersuchungshaft. Nach der Anklage hat der 34jährige Kurde den Beamten aus einer Menge von etwa 100 bis 120 Kurden heraus mit einer rund 150 Zentimeter langen Eisenstange angegriffen. Der Beamte wurde durch die Schläge am Unterarm und am Oberkörper verletzt.

Insgesamt ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft gegen 140 Personen im Zusammenhang mit den Kurden-Demonstrationen. Bisher sind 16 Anklagen erhoben worden. Zwei Fälle sind bereits erledigt, nachdem das Amtsgericht jeweils vier Wochen Jugendarrest verhängt hatte. Die Strafen waren mit der Zeit in der Untesuchungshaft bereits abgegolten. Derzeit sitzen noch acht Personen in U-Haft. Den Prozeßbeginn begleite die Polizei mit "erhöhter Aufmerksamkeit", sagte Norbert Schmidt. Sprecher der Innenverwaltung. "Bisher haben wir keine konkreten Störhinweise."

Mitte Februar war es zu den Kurden-Krawallen gekommen, nachdem der Führer der Kurden-Partei PKK, Abdullah Öcalan, in Kenia festgenommen worden war. Einen Tag später hatten aufgebrachte Kurden versucht, das griechische Generalkonsulat zu besetzen. Öcalan hatte vor seiner Verhaftung in Kenia in der griechischen Botschaft Zuflucht gefunden. Die Besetzer hielten einen Tag lang die Berliner Polizei in Atem, weil sie immer wieder mit Gewalttaten und Selbstverbrennungen drohten. Am Abend zogen sie ab. Am 17. Februar versuchten Kurden das israelische Generalkonsulat zu stürmen. Damals wurde in den Medien darüber spekuliert, daß der israelische Geheimdienst Mossad an der Festnahme Öcalans beteiligt war. (mit dpa)