Berliner Zeitung 25.5.99

Vertrauliches Protokoll belastet Berliner Polizeipräsidenten

Saberschinsky ignorierte Warnungen vor Sturm auf israelisches Konsulat Momper verlangt Rücktritt von Innensenator Werthebach

von Tobias Miller und Christine Richter
BERLIN, 21. Mai. Die Berliner Polizeiführung ist wegen des Sturms kurdischer Demonstranten auf das israelische Generalkonsulat in Berlin massiv unter Druck geraten. Nach einem Telefonprotokoll, das der "Berliner Zeitung" vorliegt, hatte Innenstaatssekretär Kuno Böse (CDU) den Berliner Polizeipräsidenten Hagen Saberschinsky bereits einen Tag vor der versuchten Konsulatsbesetzung darauf hingewiesen, daß auch israelische Einrichtungen gefährdet seien. Saberschinsky lehnte das Angebot, auch den Bundesgrenzschutz einzusetzen, jedoch ab. Der Berliner SPD-Spitzenkandidat Walter Momper forderte am Freitag den Rücktritt von Innensenator Eckart Werthebach (CDU) und Staatssekretär Böse. Bei den Protesten am 17. Februar waren vier Kurden ums Leben gekommen. Dem Protokoll zufolge riet Böse am Dienstag, dem 16. Februar, im Anschluß an eine Schaltkonferenz der Innenminister von Bund und Ländern dem Polizeipräsidenten beim Schutz israelischer Einrichtungen zur "Sensibilisierung". Daraufhin sagte Saberschinsky laut Protokoll: "Ja, ja, ja, ist gut, o.k. Wir schützen die ganze Welt." Das Angebot des Bundesinnenministeriums, für den Objektschutz den Bundesgrenzschutz (BGS) bereitzustellen, lehnte er ab: "Im Moment mal nicht." Saberschinsky bezeichnete die Veröffentlichung des Telefonprotokolls am Freitag als "empörende Kampagne" gegen die Polizei. Das Zitat sei aus dem Zusammenhang gerissen, sagte er. "Wenn sich Werthebach und Böse mit einer solchen lapidaren Antwort des Polizeipräsidenten zufriedengegeben haben, sollten sie sofort ihren Hut nehmen", sagte Momper der "Berliner Zeitung". Das Bonner Angebot, der BGS könne den Ländern beim Schutz gefährdeter Objekte helfen, gehe über die von Werthebach behauptete "pauschale Warnung" weit hinaus. Momper: "Bei Werthebach und Böse ist die innere Sicherheit nicht mehr in den richtigen Händen."
"Abstrakte Warnhinweise"
Der Innensenator bestätigte am Freitag, daß dieses Telefonat so stattgefunden habe. Werthebach war als erster Zeuge vor den Untersuchungsausschuß des Abgeordnetenhauses geladen worden, in dem die Vorfälle im Generalkonsulat geklärt werden sollen. Am 16. Februar habe jedoch kein "konkreter Gefährdungshinweis" auf die Besetzung des Konsulats vorgelegen, sagte Werthebach. Einen solchen Hinweis habe es erst am 17. Februar um 13.20 Uhr gegeben. Bis dahin seien nur "abstrakte Warnhinweise" eingegangen. Diese seien vom Bundeskriminalamt (BKA) ohne Einschätzung und Qualifizierung nach dem Motto "Melden macht frei" weitergegeben worden, so Werthebach. Der Innensenator betonte mehrfach, daß er es nicht als seine Aufgabe ansehe, in die Polizeitaktik einzugreifen: "Ich lege doch nicht fest, wo welcher Polizeibeamter eingesetzt wird." Auch die "Gefahreneinschätzung" sei Aufgabe der Polizeiführung. Die Bemerkung des Polizeipräsidenten, man schütze die ganze Welt, bezeichnete der Innensenator als "flapsig". Man müsse an solchen Tagen den Zustand der Verantwortlichen sehen, die von allen Meldungen erhielten. Vor dem Untersuchungsausschuß wird voraussichtlich am 2. Juli Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) aussagen.