Berliner Morgenpost 22.5.99

Telefon-Protokoll setzt Polizeichef schwer unter Druck
Warnungen vor Kurden-Protesten unterschätzt?

Von Hans Krump
BM Berlin - Drei Monate nach der Erstürmung des israelischen Generalkonsulats in Berlin durch militante Kurden ist Polizeipräsident Hagen Saberschinsky erneut unter starken Druck geraten. Für Wirbel sorgten vom SFB verbreitete Auszüge aus einem Telefon-Protokoll, demzufolge Innen-Staatssekretär Kuno Böse (CDU) den Polizeipräsidenten am Tag vor den blutigen Ereignissen auf eine Gefährdung israelischer Einrichtungen an der Spree hingewiesen und deren Schutz angemahnt hatte.
Darauf hatte laut Protokoll Saberschinsky mit den Worten reagiert: «Ja, ja, ja, ist gut, ok. Wir schützen die ganze Welt.» Das Angebot von Verstärkungen durch den Grenzschutz hatte der Polizeipräsident danach zunächst abgelehnt. Bei dem brutalen Überfall am 17. Februar auf das Israelische Generalkonsulat nach der Entführung von PKK-Führer Öcalan in die Türkei wurden vier Kurden von israelischen Sicherheitsleuten erschossen.
Saberschinsky und Innensenator Eckart Werthebach (CDU), der gestern als Zeuge vor den Untersuchungsausschuß des Abgeordnetenhauses geladen wurde, zeigten sich empört und wiesen die Vorwürfe gegen die Polizei zurück. Werthebach sagte, das Telefonprotokoll wärme nur «uralte Informationen wieder auf». Die Äußerungen des Polizeipräsidenten seien eine spontane Reaktion angesichts der Vielzahl möglicher Gefährdungsobjekte gewesen. Saberschinsky sprach von einem «diffamierenden und zersetzenden SFB-Bericht».  Ausschußchef Wolfgang Wieland (Grüne) rügte es als «schlechten Stil», daß Akten des U-Ausschusses an die Öffentlichkeit gelangten.
Innensenator Werthebach betonte vor dem U-Ausschuß, die ersten konkreten Warnungen auf einen Überfall von Kurden auf das israelische Generalkonsulat gegen 13.30 Uhr habe es erst etwa zehn Minuten vorher gegeben. Nach einem Alarm seien die dortigen Polizeikräfte in kurzer Zeit auf 20 und dann 180 verstärkt worden. Zuvor habe es nur «abstrakte Hinweise» auf eine Gefährdung israelischer Einrichtungen in ganz Deutschland gegeben.  Hans-Georg Lorenz (SPD) kritisierte, Werthebach habe damals trotz «nur abstrakter Warnungen» die SPD-Bundeszentrale in Berlin massiv schützen lassen.
Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) sagte der Berliner Morgenpost, eine «generelle Gefährdung der israelischen Botschaft stand nie zur Debatte». Als es «konkrete Erkenntnisse von konkreten Gefährungen gab», sei auch «zusätzlich gehandelt worden». Die Brutalität der kurdischen Angreifer dürfe nicht vergessen werden.

Trotz Warnung nur Wachpolizisten

Polizeipräsident Saberschinsky spricht von empörender Kampagne gegen seine Behörde Von Walter Scharfenecker und Dirk Reitemeier
Polizeipräsident Hagen Saberschinsky gerät unter schweren politischen Druck: Obwohl er bereits einen Tag vor dem Sturm kurdischer PKK-Anhänger auf das israelische Generalkonsulat in Grunewald am 17.  Februar durch Staatssekretär Kuno Böse telefonisch gewarnt worden war, ordnete er offensichtlich keine verschärften Schutzmaßnahmen an. Das belegt der dem SFB vorliegende Wortlaut dieses Telefongesprächs sowie das tatsächliche Geschehen danach. Erste Stimmen nach seinem Rücktritt wurden am Freitag laut.
Nach der Festnahme des Kurdenführers Abdullah Öcalan wies Böse Saberschinsky in dem Telefongespräch zur «Sensibilisierung» auf die Gefährdung israelischer Einrichtungen hin. Die Warnung quittierte Saberschinsky mit der Bemerkung: «Ja, ja, ja, ist gut , ok. Wir schützen die ganze Welt.»
Saberschinsky hat am Freitag die Veröffentlichung des Tonbands durch den SFB als «empörende Kampagne» gegen die Polizei bezeichnet. «Der Vorgang ist ungeheuerlich, diffamierend und zersetzend, persönlich und auch für die ganze Polizei.» In der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen um den Abgeordneten Wolfgang Wieland wurden am Freitag Forderungen nach einem Rücktritt Saberschinskys laut. Die SPD gab sich am Freitag noch bedeckt. Ihr sicherheitspolitischer Sprecher Hans-Georg Lorenz, ansonsten als erklärter Gegner Saberschinskys bekannt, meinte: «Da muß man erst mal den Polizeipräsidenten selbst hören.» Unabhängig von der neuen Situation hat Lorenz aber schon seit geraumer Zeit einen Saberschinsky-Nachfolger parat: Es handelt sich um den früheren Bundesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei und heutigen Polizeipräsidenten von Hagen/Westfalen, Klaus Steffenhagen, ein Sozialdemokrat.
Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen nahm dagegen gegenüber der Berliner Morgenpost Saberschinsky ausdrücklich in Schutz: «Es stand eine generelle Gefährdung des israelischen Generalkonsulats nie zur Debatte. Die Position der Polizei und die allgemeinen Hinweise auf generelle Gefährdungen sind im Parlament wiederholt behandelt worden. In dem Augenblick, in dem es konkrete Kenntnisse von konkreten Gefährdungen gab, ist nach heutiger Erkenntnis zusätzlich gehandelt worden. Ich halte es auch nicht für zulässig, die wirklichen Probleme und Ausgangspositionen zu verdrehen. Die Gewalttätigkeit der kurdischen Angriffe, das Ausmaß der Brutalität sind die wirkliche Herausforderung.
Unsere Gesellschaft sollte nicht stets an erster Stelle den Versuch unternehmen, die eigene Polizei zu kritisieren und internationale Kritik und Gewaltanwendung damit in den Hintergrund zu drücken.»
Tatsache bleibt: Nach der Besetzung des griechischen Konsulats am Wittenbergplatz durch die Kurden am 16. Februar und deren freien Abzug am Abend desselben Tages blieb die in Rundfunk und Fernsehen verbreitete Nachricht, daß der israelische Geheimdienst Mossad bei der Festnahme Öcalans beteiligt gewesen sein könnte, bei der Berliner Polizei ohne große Beachtung. Das war offensichtlich auch tags darauf am 17. Februar noch so, als in den Morgenzeitungen diese Nachricht zu lesen war. Vor das israelische Konsulat wurden nämlich keine zusätzlichen Einheiten beordert, man beließ es bei drei bis vier Wachpolizisten.
Um 13.23 Uhr wurde ein Zug der 23. Hunbdertschaft in die Schinkestraße beordert, da um 14 Uhr eine Besetzung des Konsulats durch Kurden zu erwarten sei. Von einer aktuellen Gefährdung war aber nicht die Rede. Die Beamten fühlten sich so sicher, daß sie beim Aufbau von Sperren nicht einmal ihre Helme und Schlagstöcke «am Mann» hatten. Doch plötzlich fielen etwa 60 Kurden über sie her. Die Beamten konnten den Sturm auf die Vertretung nicht mehr verhindern.  Sie waren kräftemäßig unterlegen. Das Unheil nahm seinen Lauf.