taz Berlin 8.3.1999

Israelis: Berliner wollen keine Aufklärung
Botschaft wirft Staatsanwaltschaft vor, auf Angebot zur Zusammenarbeit nicht eingegangen zu sein. Chefermittler Karge verschwieg, daß bereits zwei Botschaftsangestellte vernommen wurden. Polizei soll Hilfe zunächst verweigert haben

Die Israelis haben gestern gegen die Berliner Staatsanwaltschaft und Polizeiführung schwere Vorwürfe erhoben. Der Sprecher der Israelischen Botschaft in Bonn, Din Heiman, sagte gegenüber der taz: „Wir haben von Anfang an unsere Zusammenarbeit angeboten.“ Er zeigte sich verwundert über die Behauptung des leitenden Generalstaatsanwalts Hansjürgen Karge, der am vergangenen Donnerstag vor dem Rechtsausschuß des Abgeordnetenhauses und in der anschließenden Pressekonferenz behauptet hatte, das israelische Personal habe für Vernehmungen durch die deutschen Behörden bislang nicht zur Verfügung gestanden. „Das stimmt nicht“, sagte Heiman. Schließlich seien, so Heiman, just am vergangenen Donnerstag, als Karge vor Landtagsabgeordnete und Presse trat, zwei Angestellte des Konsulats durch die Staatsanwaltschaft vernommen worden.
„Wir sollten die Wahrheit ans Licht bringen“, sagte Heiman. „Man muß das aufklären.“ Die zwei Mitarbeiterinnen des Konsulats hatten sich angeblich zum Zeitpunkt des Angriffs in einem Kelleraum des Gebäudes verbarrikadiert. Von dort sollen sie einen Notausgang zum Innenhof geöffnet und Polizisten zugerufen haben, sie sollten in das Konsulat kommen und die Kurden aufhalten. Die Beamten hätten mit dem Hinweis abgewinkt, sie seien nicht befugt, das Gebäude eines fremden Staates zu betreten. „Das ist doch widersprüchlich. Immerhin hielten sich die Beamten zu dem Zeitpunkt schon auf israelischem Gelände auf“, sagte Heiman. Auch als Vizekonsul Roger Rachmann von einem vorderen geöffneten Fenster im Parterre um Polizeihilfe gebeten habe, hätten die Beamten das Konsulat nicht betreten.
„Die Deutschen können, wenn sie wollen, jederzeit auch die beiden israelischen Sicherheitsbeamten noch einmal interviewen“, sagte Heiman. Diese waren wenige Tage nach der Schießerei nach Israel ausgeflogen worden. „Wir wollten keine Racheakte provozieren“, begründet Heiman das Vorgehen der Israelis. Doch das Sonderbare sei, daß bislang kein deutsches Ersuchen vorliege, Rachman oder die zwei israelischen Sicherheitsbeamten zu vernehmen.
„Warum das so ist, kann nur die deutsche Seite selbst beantworten“, sagte Heiman diplomatisch - und legte mit dieser Bemerkung die Frage nahe, ob die deutschen Behörden durch schleppende Ermittlungen etwas verbergen wollen. Wenn die Israelis mit ihrer Darstellung der Dinge recht behalten, dann könnte unterlassene Hilfeleistung seitens der deutschen Polizei vorliegen. Ferner stellt sich die Frage, ob der Generalstaatsanwalt den Rechtsausschuß und die Presse am Donnerstag belogen hat oder zumindest den Anschein erwecken wollte, daß die Israelis eine Vernehmung der zwei Sicherheitsbeamten und anderer Konsulatsangestellter durch die deutschen Behörden verhinderten.
Auch die Rettungssanitäter der Feuerwehr hat die Staatsanwaltschaft bislang nicht vernommen. Das sagte Karge vor der Presse am Donnerstag.  Sie können möglicherweise wichtige Aussagen zum Tathergang machen, hoffte er. Gefragt hat sie bislang offenbar niemand. Für eine Stellungnahme war bei der Staatsanwaltschaft in Berlin gestern niemand erreichbar.
Annette Rollmann
 
 

[taz-Kommentar]
Keine Neugierde
Sturm auf Konsulat: Staatsanwalt gerät unter Druck
Die Vorgänge vor und im israelischen Konsulat vor mehr als zwei Wochen sind nach wie vor ungeklärt. Doch jetzt erscheint das Manöver der Staatsanwaltschaft vor dem Rechtsausschuß gegen die israelischen Schützen wie ein Ablenkungsmanöver vom Handeln der deutschen Behörden, besser: von deren Versagen. Auch wenn die beiden israelischen Schützen möglicherweise nicht alle Schüsse aus Notwehr gegen die anstürmenden Kurden abgefeuert haben, hätte es vielleicht zu diesem Blutbad gar nicht erst kommen müssen. Die deutschen Polizeibeamten haben sich offenbar nicht wie gut ausgebildete Polizisten, sondern wie buchstabentreue Beamte verhalten. Hasenfüßig standen sie vor dem Gebäude. Sie sahen sich angeblich nicht befugt, exterritoriales Gebiet zu betreten. Das erscheint angesichts der um Hilfe rufenden Menschen jammervoll. Versucht Generalstaatsanwalt Hansjürgen Karge den Blick der Öffentlichkeit daher vor allem auf die anstürmenden Kurden und die schießenden Israelis zu wenden und den Focus der Presse vor allem auf die Frage zu konzentrieren: War es Notwehr oder gar Totschlag?
Das kann er zudem mit einem beruhigenden Gefühl anstellen. Er als deutscher Staatsanwalt kann die beiden israelischen Schützen mit diplomaitschem Status ohnehin nicht anklagen. Aber er kann damit, so mag er gehofft haben, einen schlecht durchgeführten Polizeieinsatz verschleiern. Warum sonst ist den deutschen Ermittlern nicht besonders an der Vernehmung der israelischen Diplomaten gelegen? Warum zeichnet Karge sonst in der Öffentlichkeit das irreführende Bild, die israelischen Diplomaten stünden für Befragungen durch die deutschen Behörden nicht zur Verfügung? Wenn sich die Vorwürfe bestätigen, hat Karge nicht nur der Aufklärung der Vorfälle mächtig geschadet, sondern vor allem das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Justiz beschädigt.  Ein Journalist sagte auf der Pressekonferenz am vergangenen Donnerstag: „Wenn Sie keine angeborene Neugierde hätten, wären sie nicht Generalstaatsanwalt geworden.“ Karge antwortete schmunzelnd und geschmeichelt: „Ja, richtig.“ Herr Karge, wo ist denn Ihre Neugierde?  Ermitteln Sie. Aber in alle Richtungen.
Annette Rollmann