junge Welt, 06.03.1999

»Er schoß sofort gezielt in die Menge«
Erklärung der beteiligten Kurden zu den Vorfällen am israelischen Konsulat in Berlin

Zum Sturm auf das israelische Generalkonsulat in Berlin haben die Anwälte der beteiligten Kurden am Freitag eine Schilderung der Ereignisse vorgelegt, die sich von den Angaben der deutschen Polizei und der israelischen Sicherheitskräfte deutlich unterscheidet. Nach diesen Angaben waren Polizisten vor dem Konsulat auf Kurden zugestürmt, die dort demonstrieren wollten. Einige von ihnen seien daraufhin »durch die freie Pforte auf das Gelände des Generalkonsulats« gegangen und hätten sich auf die Außentreppe begeben. Während eine »größere Anzahl« Kurden auf dieser Treppe von hinten von Polizisten bedrängt worden sei, habe ein israelischer Sicherheitsbeamter die Eingangstür geöffnet und sei mit der Waffe im Anschlag auf die Treppe getreten: »Er schoß sofort gezielt in die Menge«, hieß es in der Erklärung. Bei einer zweiten Schußsalve sei die 18jährige Kurdin Sema Alp, die unter anderem an einem Schuß in den Hinterkopf starb, »im oberen Teil der Außentreppe stehend getroffen worden«.
In den Angaben der Kurden werden ausschließlich Ereignisse außerhalb des Konsulatsgebäudes geschildert. Nach den bisherigen Ermittlungen wurde aber die Leiche der getöteten Kurdin im Vorraum des Generalkonsulats gefunden.
Auch die Aussage der Demonstranten, Polizisten hätten nach den Schüssen einen Abzug vom Konsulatsgelände mit Tränengas verhindert, deckt sich nicht mit der Schilderung der Staatsanwaltschaft.
Die israelische Botschaft in Bonn versicherte unterdessen ihre Bereitschaft, bei der Aufklärung des Vorfalls zu helfen. »Die Frage, ob die Bereitschaft auch eine erneute Vernehmung der beiden Sicherheitsleute durch deutsche Stellen einschließe, wies ein Sprecher aber als »hypothetisch« zurück.
(AP/jW)


Frankfurter Rundschau, 06.03.1999

Offizielle Berichte über Schüsse „wenig glaubhaft“
Anwälte angeklagter Kurden fordern Verfahren gegen Todesschützen vor Israels Konsulat
Von Ullrich Fichtner
Die Anwälte der am Angriff auf das israelische Generalkonsulat in Berlin beteiligten Kurden hegen Zweifel an den bisher vorgetragenen offiziellen Berichten über die Ereignisse. Vor allem die Version der israelischen Behörden über die Schießerei sei „wenig glaubhaft“.
BERLIN, 5. März. Eine Arbeitsgruppe von 15 Berliner Rechtsanwälten hat Strafverfahren gegen die israelischen Wachleute gefordert, die vor zwei Wochen vier kurdische Demonstranten tödlich und ein Dutzend weitere zum Teil schwer verletzt haben. Die beiden Männer müßten aufgrund ihres „extrem unverhältnismäßigen Handelns zur Verantwortung gezogen werden“, sagte der Sprecher der Gruppe, Volker Ratzmann, am Donnerstag abend in Berlin.
„Mit der Aussage: ,Die sind weg und nicht mehr greifbar’ werden wir uns sicherlich nicht zufrieden geben“, sagte der Anwalt. Ratzmann und die anderen Rechtsvertreter der des schweren Landfriedensbruchs beschuldigten Kurden bestritten wesentliche Details des zuvor veröffentlichten Zwischenberichts der Berliner Justiz. Die darin versammelten Aussagen vor allem der israelischen Wachleute stünden in krassem Widerspruch zu den Angaben ihrer Mandanten.
Strittig bleiben demnach vor allem die Ereignisse auf der schmalen Freitreppe unmittelbar am Eingang des Konsulats. Die Israelis beharren darauf, ihre Wachbeamten hätten Warnschüsse über die Köpfe der herandrängenden Angreifer abgegeben und erst gezielt auf sie gefeuert, als sie in das Gebäude eindrangen. Die Kurden indes behaupten ihren Anwälten zufolge, auf sie seien ohne Warnung „zwei Salven“ aus dem Gebäude heraus abgegeben worden. Nach den ersten Schüssen hätten die noch unversehrten Demonstranten die Hände gehoben und die Polizisten am Ort in Panik um Hilfe gerufen.
Auch Teile des Polizeiberichts stehen durch die Version der Kurden infrage. So könne keine Rede davon sein, daß die am Generalkonsulat eintreffenden Demonstranten die zu diesem Zeitpunkt anwesenden 22 Polizisten „brutal überrannt“ hätten. Vielmehr hätten die Beamten von sich aus angegriffen und dadurch das Tor des Konsulats preisgegeben, durch das einige Angreifer schließlich auf das Gelände vordringen konnten. Als sie am Eingang angelangt gewesen seien, hätten sie sich plötzlich „in einer Falle“ befunden: Von vorne sei auf sie gefeuert worden, von hinten habe sie die zuvor düpierte Polizeieinheit bedrängt.
Die Anwälte räumten ein, daß der von ihnen dargestellte Ablauf keine „genaue und vollständige Rekonstruktion“ der Ereignisse darstelle.  Gleichwohl speise sich ihr Bericht aus den gleichlautenden Angaben mehrerer beteiligter Kurden. Die Polizei müsse sich deshalb Fragen nach ihrer Taktik gefallen lassen. Sie habe nach den vorliegenden kurdischen Angaben den Abzug der Demonstranten offenkundig verhindert und so entscheidend zur tragischen Eskalation beigetragen.
Zu den Abläufen im Inneren des Konsulatsgebäudes äußerten sich die Anwälte „mit Rücksicht auf ihre Mandanten“ nicht. Allerdings bestritten sie die offizielle Schilderung, ein Kurde habe mit einem israelischen Wachmann um dessen Waffe gerungen. Dies, hieß es, sei „Unsinn“.