taz Berlin 6.3.1999

Kurden trauerten um vierten Toten
Knapp 1.000 Menschen nahmen friedlich Abschied von dem vierten kurdischen Todesopfer der versuchten Besetzung des israelischen Konsulats. Nach Darstellung der Anwälte schossen die Sicherheitsbeamten nicht aus Notwehr

Ohne daß es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam, nahmen gestern knapp 1.000 Menschen Abschied von einem weiteren kurdischen Todesopfer. Der 26jährige Sinan Karakus war kürzlich an den Folgen eines Schusses gestorben, der ihn bei der kurdischen Demonstration am Aschermittwoch vor dem israelischen Konsulat in den Hinterkopf getroffen hatte. Zwei Kurden und eine Kurdin waren von den Schüssen israelischer Sicherheitsbeamter bereits bei der versuchten Besetzung des Konsulats getötet worden.
Zu den Klängen der kurdischen Nationalhymne trugen Angehörige den Sarg gestern auf den Blücherplatz in Kreuzberg, wo sie ihn auf einen Tisch neben die großformatigen Fotos aller Erschossenen stellten. Fast alle Anwesenden reckten ihre geballten Fäuste gen Himmel oder zeigten mit gespreizten Fingern das Siegeszeichen. Hunderte Trauernde defilierten dann an dem mit einer kurdischen Fahne bedeckten Sarg vorbei und überhäuften ihn mit roten Nelken.
Argwöhnisch beobachteten zahlreiche Zivilpolizisten am Rande des Trauerzuges, wie DemonstrantInnen mit kurdischen Fahnen, PKK-Symbolen und Öcalan-Bildern hantierten. Die Polizei, die rund um den Blücherplatz mit mehreren Hundertschaften präsent war, hielt sich jedoch im wesentlichen zurück. Nach Polizeiangaben wurde eine Person wegen des Zeigens der PKK-Fahne und wurden zwei Personen wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz verhaftet. Zehn weitere Personen nahm die Polizei vorübergehend fest.
Eine Rednerin der PDS protestierte gegen die Verhaftungen von kurdischen PolitikerInnen in der Türkei. „Die Grünen teilen die Trauer um die Todesopfer“, sagte Wolfgang Wieland, Innenpolitiker von Bündnis 90/Die Grünen. Er versicherte, daß seine Partei sich weiterhin für die Aufklärung der Geschehnisse an der israelischen Botschaft einsetzen werde.
Gestern legten an der versuchten Besetzung beteiligte Kurden ihre Schilderung der Ereignisse vor, die sich von den Angaben der deutschen Polizei und denen der israelischen Sicherheitskräfte deutlich unterscheidet. Nach Angaben ihrer Anwälte waren einige DemonstrantInnen „durch die freie Pforte auf das Gelände des Generalkonsulats“ gelangt und hatten sich auf die Außentreppe begeben.  Während eine „größere Anzahl“ Kurden auf dieser Treppe von hinten von deutschen Polizisten bedrängt worden sei, habe ein israelischer Sicherheitsbeamter die Eingangstür geöffnet und sei mit der Waffe im Anschlag auf die Treppe getreten. Daraufhin habe er sofort gezielt in die Menge geschossen. Bei einer zweiten Schußsalve sei die 18jährige Kurdin Sema Alp, die durch einen Schuß in den Hinterkopf starb, „im oberen Teil der Außentreppe stehend getroffen worden“.
Diese Darstellung widerspricht der israelischen. Danach handelten die Sicherheitsbeamten in Notwehr, weil Kurden versucht hätten, ihnen die Waffe abzunehmen.
Gestern hat die Kurdische Gemeinde angekündigt, eine Telefonaktion „Berliner fragen, Kurden antworten“ zum Abbau von Vorurteilen durchzuführen. Anrufe werden von Montag bis Mittwoch jeweils von 14 bis 18 Uhr unter der Rufnummer 61401427 entgegengenommen.
Hannes Koch