Berliner Zeitung 5.3.99

„Mehrere leblose bzw. verletztePersonen auf Treppe vor Objekt“
Die Schüsse im Grunewald – erstmals läßt sich ein Szenario der Ereignisse im und vor dem Israelischen Generalkonsulat erstellen
Von Michael Helberg

BERLIN, 4. März. Am 17. Februar schießen israelische Sicherheitsmänner auf eine Gruppe von Kurden, die das Israelische Generalkonsulat in Berlin erstürmen. Drei Kurden werden tödlich getroffen, ein weiterer erliegt seinen Verletzungen zehn Tage später. Seit jenem 17. Februar werden täglich neue Informationen über den Fall bekannt. Dennoch bleibt der Ablauf des Geschehens in vielen Punkten widersprüchlich und nebulös.  Nachdem die Berliner Staatsanwaltschaft jetzt ihren Ermittlungsbericht vorlegte, läßt sich dieser mit bereits bekannten Fakten, Aussagen von Augenzeugen und dem Ereignisbericht der Berliner Polizei verknüpfen. So entsteht erstmals ein Szenario der Ereignisse vor und im Israelischen Generalkonsulat.
Montag, 15. Februar:
PKK-Chef Abdullah Öcalan wird in Kenia von Mitarbeitern des türkischen Geheimdienstes entführt.
Dienstag, 16. Februar:
17.38 Uhr. Das Bundeskriminalamt sendet ein Telex an das Landeskriminalamt und die Senatsinnenverwaltung in Berlin:
 „Betr.: Informationsaustausch politisch motivierte Ausländerkriminalität. Hier: Aktivitäten mit Pkk-Bezug imNachgang zur Festnahme Abdullah Öcalans.“ Unter dem Punkt  „Bewertung“ heißt es: „(…) ist auch mit Aktionen gegen  israelische und amerikanische Einrichtungen zu rechnen.“

Mittwoch, 17. Februar:
Zirka 10 Uhr. Ermittlungsbericht der Berliner Staatsanwaltschaft:
„Aufgrund telefonischer Aufforderungen trafen sich in den Vormittagsstunden circa 100 Kurden im ,Kurdischen Kulturzentrum‘ am Mehringhof. Der Redner forderte die anwesenden Personen auf, in bereitstehende Privat-Pkw einzusteigen, um so einer polizeilichen Beobachtung zu entgehen. (…) Eine Reihe von weiteren Kurden begab sich nach vorheriger Verabredung selbständig zum Israelischen Generalkonsulat. Ihnen war bekannt, daß dort eine ,Demonstration‘ im Gebäude des Konsulats stattfinden sollte.“
13.20 Uhr. Das Bundeskriminalamt weist die Berliner Sicherheitsbehörden per Telex auf eine geplante Besetzung des Israelischen Generalkonsulats hin. Als Zeitpunkt für den Beginn der Aktion nennt das BKA 14 Uhr.
13.22 Uhr. Funkspruch der Polizei: „Zirka 30 relevante Personen aus dem Bus ausgestiegen, Kurfürstendamm.“
13.29 Uhr. Funkspruch: „Restkräfte mit Eile zur Schinkelstraße, israelische Botschaft.“
13.30 Uhr. Funkspruch: „Unsere Personengruppe hat sich auf 50
Personen erhöht.“
13.37 Uhr. Funkspruch: „Es wird Schlagwerkzeug mitgeführt.“
13.39 Uhr. 22 Beamte der Bereitschaftspolizei treffen vor dem
Israelischen Generalkonsulat in der Schinkelstraße ein. Ihr Auftrag: Mit Hilfe von Sperrgittern soll der Zugang zum Haus verhindert werden. Der reguläre Sicherheitsdienst, drei Wachpolizisten, ist wie jeden Tag vor Ort. Einer läuft Streife, der zweite sitzt in einem Wachhäuschen rechts vom Hauseingang, der dritte überwacht die Videomonitore in der Sicherheitszentrale des Konsulats.
13.40 Uhr. Funkspruch: „Hier Amsel 2. Circa 100 Personen vor
Ort. Amselkräfte werden mit Eisenstangen angegriffen, und wir haben Schlagstockeinsatz.“
Der kleinere Teil der Gruppe der Kurden klettert über den Stahlzaun auf das Grundstück des Konsulats. Der Polizist im Wachhäuschen drückt einen Knopf, der im Revier des benachbarten Polizeiabschnitts 25 (Kurfürstendamm 142) Alarm auslöst. Dann verläßt er das Häuschen und läuft zur gegenüberliegenden Straßenseite, um das Geschehen beobachten zu können. Der zweite Wachpolizist trifft am Hintereingang des Konsulats auf eine kleine Gruppe Kurden, die laut seiner Aussage bei seinem Eintreffen zum Vordereingang zurücklaufen.
13.43 Uhr. Bericht der Berliner Staatsanwaltschaft: „Der Vordereingang wird von den Konsulatsangehörigen nicht benutzt und war von innen mit einer Eisenstange gesichert. Die Kurden versuchten, die Tür gewaltsam zu öffnen. Aus bislang nicht festgestelltem Grund öffnete sich diese.“
Din Heiman, Sprecher der isrealischen Botschaft in Bonn: „Eine der Türen des Konsulats wurde durch die bloße Gewalt der Angreifer aufgebrochen. (…) Spekulationen, Angestellte des Konsulats hätten diese versiegelte und unbenutzte Tür geöffnet, sind so absurd wie falsch. Die Tür zerbrach, nachdem der Eisenträger, der sie blockierte, mitsamt Teilen des Betons, in dem sie einzementiert war, herausgebrochen wurde.“
Feuer eröffnet
Der Anwalt des an der Erstürmung beteiligten Kurden Ali Ö. (28) sagte gegenüber der „Berliner Zeitung“, eine Gruppe von Kurden habe die Tür des Konsulats „ohne Werkzeuge eingedrückt“.
Nach Aussagen von Berliner Polizeibeamten tritt in diesem Moment ein Sicherheitsbeamter aus der Tür. Die Kurden laufen auf ihn zu. Er feuert mit einer Pistole (Marke Glock, Kaliber 9 Millimeter, Vollmantelgeschosse) aus kurzer Entfernung zwei Mal gezielt auf die Gruppe. Ereignisprotokoll der Berliner Polizei:
„13.44 Uhr. Im Generalkonsulat fallen zwei Schüsse, kurdische Personen brechen im Eingangsbereich zusammen.“ Bericht der Berliner Staatsanwaltschaft: „Hierbei wurde mindestens ein Kurde im Beinbereich getroffen, der sich sodann humpelnd vom Ort des Geschehens entfernte.“
13.43 Uhr. Ermittlungsbericht der Berliner Staatsanwaltschaft:
„Polizeibeamte schildern weitgehend übereinstimmend, daß mindestens ein Sicherheitsbediensteter des Konsulats an die erneut offene Eingangstür an der Treppe trat und mit seiner Schußwaffe auf die noch auf der Treppe befindlichen und noch weiter anstürmenden Kurden das Feuer eröffnete. Die Schüsse wurden so schnell hintereinander abgegeben, daß einzelne Polizeibeamte meinten, es werde mit automatischen Waffen gefeuert. (–) Zwei Beamte haben darüber hinaus angegeben, daß nicht nur ein, sondern zwei Sicherheitskäfte am oberen Ende der Treppe gestanden hätten und mindestens einer Schüsse abgegeben habe. Einer der beiden habe gekniet, während der andere gestanden habe. Der eine Zeuge beschreibt weiter, daß die stehende Person die Waffe nachgeladen habe, ohne den Schußarm zu senken.“
Der Kurde Ahmet Acar versucht nach Aussagen der Israelis, einen Sicherheitsbeamten zu attakieren. Daraufhin schießt dieser dem Kurden in den Oberkörper. Eine Kugel trifft den 24jährigen in die Beckenschaufel und zerreißt die Aorta. Ahmet Acar verblutet im Notarztwagen auf dem Weg ins Virchow-Klinikum.
Ereignisprotokoll der Berliner Polizei: „13.49 Uhr. Im Eingangsbereich fallen circa 30 Schüsse, von denen offenbar Kurden getroffen wurden, zu diesem Zeitpunkt befanden sich auch Polizeibeamte auf der Treppe.“ Nach Darstellung der Israelis fielen angeblich insgesamt nur 17 Schüsse. Auffällig ist jedoch, daß Angaben der Staatsanwaltschaft zufolge 16 Personen von Kugeln getroffen werden, manche sogar mehrfach, vier davon tödlich.
Ereignisprotokoll der Berliner Polizei: „13.59 Uhr. Mehrere leblose bzw. verletzte Personen auf Treppe vor Objekt, kurz darauf verbringen von verletzten Kurden aus diesem Bereich durch Polizeikräfte auf das öffentliche Straßenland, Erstversorgung der Verletzten. – 14.06 Uhr. Mehrere Personen im israelischen Generalkonsulat.“
Ermittlungsbericht der Berliner Staatsanwaltschaft: „Zu den Einzelheiten der Schußabgabe innerhalb des Gebäudes liegen bislang nur die Angaben der beiden israelischen Sicherheitsbediensteten vor (…) Aussagen aller der in dem Israelischen Generalkonsulat aufhältlichen Personen stehen zur Zeit nicht zur Verfügung, da weiterhin erst noch versucht werden muß, Einlassungen dieser Personen zu erhalten.“
Der Ermittlungsbericht faßt die Aussagen der israelischen Sicherheitsbeamten wie folgt zusammen: „Auf dem Weg in den zweiten Stock wurde einer der Sicherheitsleute von einem Kurden angesprungen, der gewaltsam versuchte, ihm die Waffe zu entreißen. Dabei richtete er den Lauf der Pistole auf den Bauch des Israeli. Bei dem Kampf löste sich ein Schuß, der niemanden verletzte. In dieser Lage kam der zweite Israeli hinzu und gab angesichts der lebensgefährlichen Situation aus kürzester Entfernung einen Schuß auf den Oberkörper des Kurden ab, der getroffen zusammenbrach.“ Nach Schilderung der Sicherheitsleute kam es zu Handgemenge und weiteren Angriffen, in deren Verlauf die Israelis weitere Schüsse abgaben.  Dabei, so sagen sie aus, hätten sie auf die Beine gezielt.
Ermittlungsbericht der Berliner Staatsanwaltschaft: „Ein Israeli wurde kurz darauf auf der Treppe von einem Kurden mit einer beidhändig geschwungenen Eisenstange angegriffen.  Angesichts dieser Lage gab der Sicherheitsmann nach eigenen Angaben ,instinktiv‘ einen Schuß direkt auf diese Person ab, die darauf auf der Treppe zusammenbrach und ebenfalls von anderen Richtung Eingang gezogen wurde, wobei er nach Eindruck des Israeli noch gelebt habe.“
Ereignisprotokoll der Berliner Polizei: „14.25 Uhr. Polizeiführer nimmt im Objekt Kontakt zu israelischem Personal auf.“
Ermittlungsprotokoll der Berliner Staatsanwaltschaft: „Der eintretende Polizeibeamte konnte im Vorraum an der Eingangstür zwei Personen, einen Mann und eine Frau, leblos am Boden liegen sehen, im Treppenhaus, auf dem Absatz zum ersten Stock, lag eine weitere leblose Person.“
Der Obduktionsbericht
Professor Volkmar Schneider, Chef der Gerichtsmedizin, obduzierte die Leichen. Laut seinem Bericht starben zwei von ihnen auf „der Treppe über dem Souterrain“. Die Opfer wurden als folgende Personen identifiziert:
Sema Alp, 18 Jahre alt. Sie wurde von zwei Kugeln getroffen. Das tödliche Projektil durchschlug laut Obduktionsbericht „seitlich, halbschräg von hinten“ den Kopf. Ein zweiter Einschuß wurde im Rücken festgestellt, die Kugel trat durch die Brust aus. Die Schüsse fielen laut Obduktionsbericht nicht aus nächster Nähe, sondern mindestens aus zwei Meter Entfernung. Sema Alp verstarb noch im Konsulat.
Sinan Karakus, 26 Jahre alt. Eine Kugel durchschlug den linken Oberschenkel. Ein Querschläger traf ihn am Hinterkopf und trieb dabei Knochensplitter in sein Kleinhirn. Auf der Intensivstation der Universitätsklinik Benjamin Franklin (Steglitz) wurde Karakus in ein künstliches Koma versetzt. Eine Rettung des lebensgefährlich Verletzten war zu diesem Zeitpunkt nach Überzeugung der Ärzte schon nicht mehr möglich. Karakus verstarb zehn Tage nach dem Angriff auf das Konsulat.
Mustafa Kurt, 26 Jahre alt. Thoraxdurchschuß seitlich von hinten. Er erlag im Konsulat seinen schweren inneren Verletzungen.
Ermittlungsbericht der Berliner Staatsanwaltschaft: „Daneben wurden 12 weitere kurdische Personen von Projektilen getroffen, wodurch insgesamt 15 Schußverletzungen überwiegend im Bein-bezw. Fußbereich verursacht wurden. Eine Person erlitt neben einem Bauchdurchschuß einen Steckschuß im Knie.“
Ereignisprotokoll der Berliner Polizei: „14.25 Uhr. Geiselnahme im Objekt durch kurdische Personen. Polizeiführer verhandelt mit israelischem Vizekonsul, Verhandlungen mit Geiselnehmern, SEK (Anmerk. d. Red: Sondereinsatzkommando) übergibt Geiselnehmer an 12. Einsatzhundertschaft.“
Der beteiligte Kurde Ali Ö. sagte aus: „Gemeinsam mit acht Kurden sind wir ohne Gegenwehr in den ersten Stock gelangt.
Dort hat ein israelischer Sicherheitsbeamter ohne Vorwarnung mehrmals in unseren Raum hinein geschossen. Wir holten aus dem Bürozimmer die festgesetzte Sekretärin. Diese Sekretärin ging mit mir an das Fenster, und ich rief zu der draußen stehenden Polizei: ,Hier ist die Frau, wir überlassen Sie Ihnen und ergeben uns auch, aber wir brauchen eine Leiter, um herauszukommen. Wir haben sie nicht verletzt und nicht gefesselt.‘“
„Geisel ist frei“
Ereignisprotokoll der Berliner Polizei: „14.31 Uhr. Geisel ist frei, Durchsuchung des Generalkonsulats durch SEK.“ – 14.43 Uhr.  Gemäß SEK ist das Gebäude frei.“
Vor dem Gebäude des Generalkonsulats wartet bereits Bernd Meyer, Chef der Mordkommissionen der Berliner Kriminalpolizei, in Begleitung eines Spurensicherungstrupps. Sie finden später die Leichen von Sema Alp und Mustafa Kurt im Keller des Gebäudes. Ermittlungsbericht der Berliner Staatsanwaltschaft:
„Die Leichen wurden von Angehörigen der Sondereinsatzgruppe in das Untergeschoß des Gebäudes gebracht, um die nunmehr aus dem Gebäude abrückenden Kurden nicht zu spontanen Gewalthandlungen beim Anblick der Toten zu provozieren.“
Die beiden israelischen Sicherheitsbeamten werden von der Staatsanwaltschaft befragt. Sie legten nach Angaben der Staatsanwaltschaft Diplomatenpässe vor und verwiesen auf ihren Status, der Immunität garantiert. Din Heiman, Sprecher der isrealischen Botschaft: „Auf Bitten der Ordnungskräfte haben wir die beiden ordnungsgemäß angemeldeten Pistolen sofort für weitere Untersuchungen übergeben. (…) Die beiden Sicherheitsbeamten verließen Deutschland nach der Befragung.  Sie taten dies mit dem Zweck, sich von den Strapazen zu erholen und um mögliche Racheakte in Berlin zu vermeiden.“
Ereignisprotokoll der Berliner Polizei:
„Vorkommnisse/Tätigkeiten.  Freiheitsentziehungen/Beschränkungen insgesamt: 224. 25 verletzte Polizeibeamte, davon 5 Beamte ambulant im Krankenhaus behandelt, 4 Beamte vom Dienst abgetreten. Durch Sanitätsbeamte wurden 13 Hilfeleistungen durchgeführt, davon 5 lebensrettende Sofortmaßnahmen vor dem Objekt und Nachversorgung von 8 leichtverletzten Polizeibeamten. (…) Sicherstellung von 21 Handys.“
Die Berliner Staatsanwaltschaft betreibt kein „Verfahren gegen Unbekannt“, sondern lediglich ein „Todesermittlungsverfahren“.  Insgesamt wurden 23 Strafanzeigen gestellt. Keine davon richtet sich gegen die israelischen Sicherheitsbeamten.
Ermittlungsbericht der Berliner Staatsanwaltschaft: „Vorläufige Einschätzung. Das Verhalten der israelischen Sicherheitskräfte kann nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen aufgrund einer Notwehrsituation dem Grunde nach gerechtfertigt sein. Ob dies für den gesamten Geschehensverlauf gilt, kann die Staatsanwaltschaft derzeit nicht abschließend bewerten. Im übrigen weist die Staatsanwaltschaft auf folgendes hin: Die israelischen Sicherheitskräfte verfügen über diplomatischen Status, der die Durchführung eines Verfahrens gegen sie ausschließt. Daraus ergeben sich bereits Grenzen der Ermittlungen.“ 


KURDEN
Ausschuß soll Verhalten der Polizei prüfen
Schüsse im Konsulat: Justiz legt Zwischenbericht vor
Von Michael Helberg

BERLIN, 4. März. Die Berliner Grünen beantragen die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Klärung der Umstände, unter denen vier Kurden am 17. Februar im Israelischen Generalkonsulat von Sicherheitskräften erschossen wurden. Da die PDS bereits ihre Unterstützung zugesagt hat, verfügen die Grünen über die nötige Stimmenmehrheit, um den Antrag am kommenden Dienstag erfolgreich einbringen zu können.  Wolfgang Wieland, Innenexperte der Grünen, sagte, Gegenstand des Untersuchungsausschusses solle die Frage sein, ob die Berliner Polizei „hauptstadtfähig“ sei. Die Grünen wollen prüfen lassen, ob Innensenator Eckart Werthebach (CDU) und der Polizeiführung Fehler nachzuweisen sind.
Bericht der Staatsanwaltschaft
Berlins Justizsenator Ehrhart Körting und Generalstaatsanwalt Hansjürgen Karge hatten zuvor im Rechtsausschuß erstmals einen Zwischenbericht der bisherigen Ermittlungsergebnisse vorgelegt. Dieser kommt zu dem Schluß, daß das Verhalten der isrealischen Sicherheitsleute „aufgrund einer Notwehrsituation“ dem Grunde nach gerechtfertigt gewesen sein könne.  Abschließend ließe sich dieses jedoch noch nicht bewerten.
Eines der Opfer war durch Schüsse von hinten getötet worden.  Karge: „Natürlich entsprechen Schüsse von hinten nicht der klassischen Notwehrsituation.“
Da die Israelis über den Status von Diplomaten verfügen, sei ein Verfahren gegen sie jedoch ausgeschlossen. Ohne diesen Schutz, so der Generalstaatsanwalt, würde er ein Verfahren führen müssen, dessen Anschuldigungen von Körperverletzung mit Todesfolge bis zu Mord reichen würden. Karge weiter: „Die Aussagen der israelischen Sicherheitskräfte decken sich nicht mit allen Darstellungen insbesondere der deutschen Polizisten.“ So ist weiterhin strittig, wie die Kurden in das Gebäude gelangten.
Justizsenator Körting wehrte sich gegen den Vorwurf, Parlament und Öffentlichkeit seien zu spät informiert worden: „Es wäre unverantwortlich gewesen, Teilbruchstücke in der Öffentlichkeit zu diskutieren. Es gelte, Sachverhalte zu ermitteln, und nicht, sich an Spekulationen zu beteiligen.“ 



 

OFFENE FRAGEN
Warum ein Kopfschuß von hinten?
Laut Obduktionsbericht starb eine Kurdin durch einen Kopfschuß von seitlich schräg hinten. „Nicht der klassische Notwehr-Fall“, so Generalstaatsanwalt Karge.
Zum Tathergang im Konsulat gibt es nur israelische Aussagen.  Demnach hat ein Kurde versucht, einem Wachmann die Waffe zu entreißen. Angaben von Kurden fehlen.
Die Zahl der Schüsse ist offen. Die Israelis sprechen von 17 Schüssen. Polizisten nahmen bis zu 30 Schüsse wahr.
Auf der Außentreppe schoß ein Wachmann mehr als ein Magazin leer, sagen Polizisten. Israelis sprachen erst von einem Warn-, dann von zwei Schüssen.
Die Konsulatstür könnte von innen geöffnet worden sein.
Leserbrief

Untersuchungsausschuß soll Fragen zu tödlichen Schüssen klären
Grüne wollen Ausschuß gegen Koalitionswillen einsetzen

Von G. Schomaker und T. Miller
Die Grünen wollen einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß zu den tödlichen Schüssen im israelischen Generalkonsulat einsetzen. „Was vom Justizsenator zu den Vorfällen dargelegt wurde, war nicht nichts. Aber es gibt noch sehr viele offene Fragen“, begründete Wolfgang Wieland, innenpolitischer Sprecher. „Das Parlament ist kein Tribunal“, sagte Wieland. Für die Grünen stelle sich aber die Frage, ob es bei den politisch Verantwortlichen Fehler und Mängel gab. „Und die Verantwortlichen sind der Innensenator und die Polizeiführung“, so Wieland. Für die Grünen stelle sich die grundsätzliche Frage, inwieweit die Sicherheit der anwesenden und zuziehenden Botschaften sowie der diplomatischen Vertretungen durch die Berliner Polizei gewährleistet sei. Weil das Thema „delikat“ sei, überlegten die Grünen im Moment noch, wie der genaue Untersuchungsauftrag lauten solle, so Fraktionschefin Renate Künast.
Die SPD lehnt die Einrichtung eines solchen Untersuchungsausschusses ab. Ihr innenpolitischer Sprecher Hans-Georg Lorenz nannte den Vorschlag „Schwachsinn“, weil der Innenausschuß genug über mögliche Versäumnisse bei der Polizei oder beim Innensenator in Erfahrung bringen könne.
CDU-Fraktionssprecher Markus Kauffmann stimmte dem zu:
„Wir halten den Untersuchungsausschuß für unnötig.“ Die PDS hat sich noch keine klare Meinung darüber gemacht. Ihr Votum ist aber wichtig, weil wenigstens ein Viertel der Abgeordneten für die Einsetzung stimmen müssen. „Wir werden das Thema in der nächsten Fraktionssitzung erörtern“, sagte die innenpolitische Sprecherin Marion Selig.
Den Bericht des Justizsenators zu den bisherigen Erkenntnissen über die Erstürmung des israelischen Generalkonsulats (siehe bewerteten die Fraktionen unterschiedlich. Andreas Gram (CDU) sprach von einem „sehr umfassenden Bericht“, in dem er keine Ungereimtheiten mehr sehe, nur noch unterschiedliche Zeugenaussagen. „Das ist häufig so bei zahlreichen Zeugen.“ Die Staatsanwaltschaft vernahm bisher mehr als 100 Zeugen.  Kirsten Flesch (SPD) sagte, daß sie sich „in keinster Weise schlecht informiert“ fühle. Sie hob die klaren Unterschiede in den Darstellungen der Isrealis und der deutschen Polizisten hervor.  Von einer „bedauerlichen Diskrepanz“ hatte auch schon Generalstaatsanwalt Hansjürgen Karge bei der Vorstellung des Berichts gesprochen. Karge nannte es ein Problem, daß die israelischen Sicherheitsbeamten nicht mehr vernommen werden könnten. Sie sind kurz nach ihren ersten Aussagen nach Israel zurückgeflogen. Wolfgang Wieland, der noch Fragen zu den tödlichen Kopfschüssen von hinten bei einer Kurdin hat, schlug vor, die Sicherheitsbeamten trotz ihres Diplomatenstatus noch einmal zum Tathergang und zu den Schüssen zu befragen.  „Wieso sollten sich die Israelis weigern? Bisher zeigte Israel seinen Willen zur Aufklärung.“ Die Israelische Botschaft in Bonn erklärte am Abend: „Alle Schüsse dienten ausschließlich der Selbstverteidigung.“ 


STADTBILD
Bürgerkrieg im Grunewald
Von Jens Stiller

Justizsenator Körting hat in seinem Zwischenbericht zu den tödlichen Schüssen am israelischen Konsulat von einer „bürgerkriegsähnlichen Situation“ gesprochen. Die Einschätzung ist nicht neu. Die Fakten, die er – spät, aber detailliert – präsentierte, waren es auch nicht. Neu ist, daß die Zweifel an der israelischen Version zum Tathergang nun auch ganz offiziell geäußert werden.
Das Wort vom „Bürgerkrieg“ bekommt so eine andere Qualität:
Für die Eskalation, die vier Tote und etliche Schwerverletzte zur Folge hatte, sind nicht die kurdischen Randalierer allein verantwortlich. Es hat zwei Kriegsparteien gegeben.
Denn Schüsse sind nicht gleich Schüsse. Sie können in Notwehr fallen. Sie können auf Flüchtende abgegeben werden, wie der Obduktionsbericht nahelegt. Oder in einer Art Dauerfeuer auf eine Menschenmenge abgegeben werden, wie es Polizisten bezeugt haben. Die beiden letzten Varianten machen die Schützen nicht nur zu Opfern eines gewalttätigen Mobs, sondern zu Agierenden.
Denn die israelischen Schützen haben offensichtlich ihre Regeln im Grunewald angewendet, nicht die, die die deutsche Polizei vertritt. Sie waren militärisch gedrillt, sie haben militärisch gehandelt. Die israelische Botschaft hatte in ihrer ersten Stellungnahme noch versucht, sich mit Begriffen wie „Warnschuß“ und „Notwehr“ auf polizeiliches Vokabular einzulassen. In ihrer zweiten, modifizierten Darstellung heißt es plötzlich, daß gezielt auf eine angreifende Menge geschossen wurde. Dies macht deutlicher, daß sie die Schüsse als Verteidigungsakt für das ganze Konsulat versteht.
Kann ein Untersuchungsausschuß also mehr Klarheit bringen?  Nein. Israel wird in diesem Fall immer nur genausoviel eingestehen, wie es die Faktenlage erfordert, ohne offiziell Verantwortung zu übernehmen. Die Schützen genießen Immunität und werden nicht freiwillig reden. Mehr Gewißheit über das Versagen der Polizeiführung bringt ein Ausschuß auch nicht: Es wird keine Enthüllungen über warnende Fernschreiben gegeben, die in Papierkörben landeten – weil die Wahrheit so viel einfacher ist. Die Bedrohung fürs Konsulat wurde falsch eingeschätzt. Sonst hätten Israelis gar nicht erst auf Kurden schießen können. 


Anwälte sehen Notwehr nicht bestätigt
Erschossene Kurdin wollte offenbar flüchten
Von Matthias Gebauer
Die Anwälte vieler an der versuchten Besetzung des Generalkonsulats beteiligter Kurden stellen die „Notwehrtheorie“ als Begründung für die tödlichen Schüsse der Israelis in Zweifel.  Nach einer Rekonstruktion von übereinstimmenden Zeugenaussagen von inhaftierten Kurden seien zumindestens die Schüsse im Eingangsbereich des Konsulats „keinesfalls aus Notwehr gefallen“, so Volker Ratzmann, der mehrere Kurden vertritt, gegen die wegen schweren Landfriedensbruchs ermittelt wird.
Nach den Angaben mehrerer Mandanten habe der Wachmann zuerst vom Eingang aus eine Salve von Schüssen auf die rund drei Meter entfernte Gruppe von Kurden abgegeben. Dabei wurden mehrere der rund 15 Kurden auf der Eingangstreppe verletzt. „Nach der ersten Salve wollten die Kurden von der Treppe zurückweichen“, so der Anwalt. Mehrere von ihnen hätten sogar die Hände gehoben und so signalisiert, daß sie keine weitere Gewalt wollen. Die Gruppe konnte sich allerdings nicht vom Eingang in Richtung Straße bewegen, da dort Polizisten den Weg versperrten, so der Anwalt. „Nach uns vorliegenden Aussagen sollen die Polizisten sogar von hinten gedrückt haben“, so Ratzmann. Kurz darauf habe der Wachmann eine neue Salve von dem Eingang der Treppe abgefeuert und dabei die 18jährige Sema Alp tödlich getroffen. Ebenfalls soll dort auch Ahmet Acar tödlich verletzt worden sein. Belegt sehen die Anwälte diese Version in der Tatsache, daß Sema Alp von hinten getroffen wurde, sich also offenbar bereits umgedreht hatte, um zu flüchten. „Laut den Aussagen standen alle Kurden in einem größeren Abstand zu dem Wachmann, von Notwehr kann also keine Rede sein“, so Ratzmann. Seiner Meinung nach muß auch das Verhalten der Polizisten an der Treppe erörtert werden. Für die von den Israelis verbreitete Version der versuchten Entwaffnung im Konsulat haben die Anwälte keine Belege. „Seltsamerweise hat keiner der Kurden diese Aktion beobachtet“, so der Anwalt. Die Israelis hatten angegeben, einer der Kurden sei bei dem Versuch, einen der Wachmänner zu entwaffnen, von dessen Kollegen erschossen worden.
Die Aussagen liegen der Staatsanwaltschaft nicht vor. Die in Haft sitzenden Kurden haben Aussagen unter Berufung auf ihren Beschuldigtenstatus abgelehnt. „Unsere Mandanten werden zum Teil mit empfindlichen Strafen und vor allem mit der Abschiebung in die Türkei bedroht, deshalb haben sie sich noch nicht geäußert“, so Ratzmann. Man wolle zuerst alles rekonstruieren, bis man Aussagen an die Ermittlungsbehörden weitergebe. 



 
 

Taz  5.3.99
Justiz befindet sich weiter in Notwehr

Der Tod der vier Kurden ist noch immer ungeklärt. Bei der gestrigen Sitzung des Rechtsausschusses stand nur fest, daß es im israelischen Konsulat keine Geiselnahme gab.
Offen bleibt, ob es für einen Untersuchungausschuß eine
Mehrheit gibt
Vieles ist offen, eines steht fest: Die Grünen im Abgeordnetenhaus fordern einen Untersuchungssauschuß zur versuchten Erstürmung des israelischen Generalkonsulats. Es müsse die politische Verantwortung für die Vorfälle geklärt werden, betonte der Grünen-Politiker Wolfgang Wieland nach der Vorlage eines ersten Berichts von Generalstaatsanwalt Hansjürgen Karge bei der gestrigen Sitzung des Rechtsausschusses. Infolge der Besetzung der Vertretung waren drei Kurden erschossen worden, ein weiterer starb später an seinen Verletzungen.
Es sei beschämend für die Stadt, daß die Abgeordneten sich mit diesem Thema beschäftigen müßten, hatte die grüne Fraktionsvorsitzende Renate Künast zu Beginn der Sitzung des Rechtsausschusses gesagt. „Wieso konnten die deutschen Behörden die Israelis nicht ausreichend schützen?“ fragte sie. Die sei auch angesichts der deutschen Geschichte nicht unbedeutend. Es stelle sich die Frage, ob Berlin als künftiger Regierungssitz in der Lage sei, die vielen ausländischen Botschaften zu schützen.
Für die Einsetzung des Untersuchungsausschusses sind die Grünen auf die Stimmen anderer Fraktionen angewiesen. Die PDS-Fraktion will am Dienstag entscheiden, ob sie die Grünen unterstützt. „Nach allen Erkenntnissen hat Werthebach in der Tat versagt“, sagte PDS-Fraktionschef Harald Wolf. Die Stimmen von Grünen und PDS würden für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ausreichen.
Mit der Vorlage des Berichts zum Stand der Ermittlungen zeigten sich die Fraktionen zum Teil zufrieden. Doch selbst die CDU stellte fest, daß noch immer viele Fragen offenblieben. Nach wie vor sei beispielsweise unklar, ob eine gesicherte Tür des Konsulats, von den anstürmenden Kurden oder von den israelischen Sicherheitsbeamten selbst geöffnet worden war. „Wir wissen es nicht“, sagte Generalstaatsanwalt Hansjürgen Karge.
Karge und Justizsenator Ehrhart Körting (SPD) hatten den Bericht gestern erst auf Druck der Grünen vorgelegt. Diese hatten mehrfach kritisiert, die Justiz informiere das Parlament und die Öffentlichkeit nicht ausreichend.  Körting rechtfertigte sich zu Beginn der Sitzung damit, es sei nicht Aufgabe der Staatsanwaltschaft, sich an Spekulationen zu beteiligen. Sie müsse Sachverhalte ermitteln. Karge und er seien sich einig gewesen, daß es unverantwortlich gewesen wäre, „Teilbruchstücke“ in der Öffentlichkeit zu diskutieren.
Einzig die angebliche Geiselnahme einer Konsulatsangestellten habe sich mittlerweile aufgeklärt, so Karge. „Die Kurden sind zwar in ihr Zimmer gestürmt, haben sie aber nicht gewaltsam festgehalten.“ Im Gegenteil:
Nachdem die Schüsse gefallen seien, hätten die Kurden durch das geöffnete Fenster zu der mittlerweile eingetroffenen deutschen Polizei Kontakt aufgenommen und angeblich gerufen: „Wir wollen hier raus!“
Daraufhin, so der Generalstaatsanwalt, habe ein Sondereinsatzkomando der Polizei die am Treppenabsatz im Gebäude liegenden Leichen in den Keller gebracht. Damit sollte verhindert werden, daß die abziehenden Kurden zu „weiteren unkontrollierten emotionalen Handlungen“ provoziert würden.
In der Presse war spekuliert worden, ob die Israelis etwa durch ein Verlagern der Leichen versucht hätten, Tatort und -hergang zu manipulieren.  Generaltstaatsanwalt Karge sagte: „Die Diskrepanz zwischen den verschiedenen Versionen über den Tathergang ist bedauerlich, aber nicht aus der Welt zu schaffen.“
Philipp GesslerAnnette Rollmann 


Kommentar
Diplomatie und Wahrheit
Nach den Schüssen ist Berlin eine andere Stadt
Zweieinhalb Wochen sind mittlerweile vergangen, seitdem vier Kurden bei der zumeist „Erstürmung“ genannten Aktion im und am israelischen Generalkonsulat getötet wurden. Zweieinhalb lange Wochen, in denen es die Justiz noch immer nicht geschafft hat, endgültig die Umstände der tödlichen Schüsse zu klären. Zweieinhalb Wochen, in denen kaum einer die Frage zu stellen wagte, ob es von nun an in Berlin erlaubt ist, ungestraft durch die Gegend zu ballern. „Die Wahrheit kennt keine Diplomatie“, sagte gestern Generalstaatsanwalt Karge. Doch kennt die Diplomatie die Wahrheit? Gewiß, nun fordern die Grünen einen Untersuchungsausschuß.  Aber was soll dabei herauskommen? Gegen die beiden Todesschützen kann - der Diplomatie wegen - nicht mehr ermittelt werden. Also werden sich vermutlich auch nach einem solchen Ausschuß noch immer zwei Versionen gegenüberstehen. Die der Israelis und die der Polizei. Wessen Version man schließlich folgt, ist dann wohl Glaubenssache oder aber Ergebnis der Frage, wer eigentlich einen Grund zum Lügen hätte: die eine Seite oder die andere.
Nein, einen solchen Untersuchungsausschuß braucht man nicht. Zu klären wären andere Fragen - diplomatische. Warum zum Beispiel schloß sich das Auswärtige Amt einer Notwehrversion an, als diese von den Israelis selbst noch kaum formuliert war? Warum müssen Kripobeamte zweieinhalb Stunden vor der Tür stehen, bevor sie eingelassen werden? Und warum wird gegen die beteiligten Kurden wegen diverser Delikte ermittelt, gegen die israelischen Beamten aber nicht? Gewiß, die Diplomatie. Aber es macht schon einen Unterschied, ob man ermittelt und die Ermittlungen schließlich einstellen muß oder ob man die unangenehmen Dinge gleich unter den Teppich kehrt.
Und dann wäre noch etwas, was wahrscheinlich in keinem Untersuchungsausschuß zur Sprache käme, eigentlich aber ein Thema für die Öffentlichkeit wäre. Noch nie sind in der Bundesrepublik bei einer Demonstration vier Menschen getötet worden. Warum sagt keiner, daß seit dem Aschermittwoch in Berlin nichts mehr ist, wie es war. Wieviel Wahrheit verträgt Diplomatie? Und wieviel ein Untersuchungsausschuß?
Uwe Rada 



 
 

Süddeutsche Zeitung 05.03.99  Politik

Schüsse ein „heroischer Akt“
Israel verteidigt seine Wachleute
Von Thorsten Schmitz
Die Frau, die im israelischen Fernsehen zu sehen war, wirkte verwirrt. Miriam Schomrath, Israels Generalkonsulin in Berlin, sprach vor laufender Kamera von der „Ermordung“ kurdischer Demonstranten durch israelische Wachmänner. Zwar erkannte Schomrath sofort ihren Fauxpas und verbesserte sich. Das israelische Außenministerium aber verpaßte der Konsulin umgehend einen Maulkorb. Schomrath darf keine Interviews mehr geben.
Das Wort hat allein Premierminister Benjamin Netanjahu.  Und er betont immer wieder, Israel sei nicht an der Ergreifung des kurdischen Separatistenführers Abdullah Öcalan in Nairobi beteiligt gewesen. Aus Deutschland stammende Vorwürfe, die israelischen Wachmänner hätten unverhältnismäßig hart reagiert, weist Netanjahu zurück. Ihr Leben sei in Gefahr gewesen: „Unseren Wachmännern gebührt daher voller Respekt.“ Auch in den israelischen Medien war der Tenor einhellig, die Wachmänner hätten allen Grund gehabt zu schießen. Im Massenblatt Maariv hieß es: „Es beschleicht einen ein merkwürdiges Gefühl, wenn israelische Sicherheitskräfte in wenigen hundert Meter Entfernung von dem Ort, an dem einst der Hitler-Bunker stand, in eine Schießerei mit Deutschen verwickelt sind.“ Dies wäre nicht passiert, so Maariv, „wenn die deutsche Polizei ihre Aufgabe angemessen erfüllt und den Angriff auf das Konsulat verhindert hätte“. Erinnerungen würden wach an das Münchner Olympia-Massaker von 1972 und die „unrühmliche Rolle deutscher Polizisten“ damals.
Mißtrauen gegenüber Deutschen
Die Reaktionen auf das Geschehen in Berlin sind typisch für das zwiespältige Verhältnis vieler Israelis zu Deutschland. Einerseits unterhält Israel zu Deutschland intensive politische, wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen, andererseits traut man den Deutschen nicht. Analytiker und Kommentatoren waren in den Tagen nach der Schießerei im Konsulat schnell mit Hinweisen zur Stelle, nur wenige deutsche Polizisten hätten das Gebäude bewacht. Die deutsche Polizei hat nach Ansicht israelischer Medien versagt, „als es um den Schutz von Israelis ging“. Die Schüsse der eigenen Sicherheitsleute finden in Israel kaum Kritiker. Im Gegenteil: Daß Israelis gerade in Deutschland sich mit Waffengewalt wehren, gilt als „heroischer Akt“.
Besonders verärgert äußerten sich Israelis sowie Mitarbeiter des Außenministeriums über deutsche Presseberichte, die Israels Geheimdienst Mossad mit der Ergreifung von Kurdenführer Öcalan in Verbindung brachten. Ein Rundfunkreporter berichtete dieser Tage, das Eindringen der Kurden in das Berliner Konsulat sei das „Resultat der Hetze gegen uns und von deutschen Äußerungen, nach denen der Mossad an Öcalans Ergreifung beteiligt gewesen sein soll“. Die Hinweise, die aus Ankara und aus westlichen Geheimdienstquellen stammen, werden in Israel mit Vehemenz dementiert. Zwar unterhält der Mossad in Nairobisein größtes Afrika-Büro.  Und Israel pflegt seit Jahren eine intensive Zusammenarbeit mit der Türkei im militärischen Bereich.
Doch Israel hebt immer wieder die guten Beziehungen des Mossad zu den Kurden im Irak hervor. In Israel leben viele kurdische Juden. Der prominenteste ist Jitzhak Mordechai, aussichtsreicher Kandidat für das Amt des Premierministers der neugegründeten Zentrumspartei. 



 

05.03.99
Politik
Zweifel an der Notwehr-Theorie
Nach dem ausführlichen Zwischenbericht der
Staatsanwaltschaft sind noch viele Fragen offen
Von Dorit Kowitz
Wie oft und aus welcher Situation heraus haben zwei israelische Sicherheitsbeamte am 17. Februar im Generalkonsulat auf kurdische Randalierer geschossen?  Das war die Frage am Donnerstag im Rechtsausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses. Nach mehr als zwei Wochen des Stillschweigens von Staatsanwaltschaft und Justizsenat äußerte sich Generalstaatsanwalt Hansjürgen Karge vor dem Gremium erstmals zu dem blutigen Vorfall in Berlin-Wilmersdorf, der vier Menschenleben forderte.  Was Karge sagte, bringt nur wenig Klarheit und wirft neue Fragen auf. Denn die Aussagen der israelischen Wachleute widersprechen massiv denen zahlreicher deutscher Polizisten. „Auch die Angaben der Wachleute untereinander differieren“, sagt Karge.
Die Israelis, die am Tag nach dem Sturm auf das Konsulat vernommen und dann in ihre Heimat geflogen wurden, sind bislang die einzige Quelle für die Vorfälle im Innern des Gebäudes. Sie schildern den Ablauf so: Vier Kurden seien über eine Vordertür des Hauses im ersten Stock eingebrochen. Als einer der Wachleute mit einer Waffe gedroht habe, hätten sie sich zurückgezogen, seien jedoch von nachrückenden Kurden verdrängt worden.  Ein Mann sei in den zweiten Stock gestürmt, habe einen der Wachmänner angesprungen und versucht, ihm die Waffe abzunehmen. Dabei habe sich ein Schuß gelöst, der jedoch niemanden getroffen habe. Als der zweite Wachmann dazugekommen sei, habe er die Gefahr erkannt und von der Seite her auf den Oberkörper des Kurden geschossen. Dieser sei zusammengebrochen.
Daraufhin, so sagte einer der Israelis aus, hätten mehrere mit Eisenstangen und Baseballschlägern bewaffnete Kurden ihn die Treppen hinaufgejagt. Er habe auf diese Männer geschossen und dabei auf die Brust gezielt. Ein Mensch sei im Foyer, ein anderer auf der Treppe zusammengebrochen. Dennoch hätten andere Kurden den Wachmann weiter verfolgt, so daß er ihnen in die Beine geschossen habe. Verletzt hätten sich die Kurden nun gegenseitig aus dem Haus geschleppt. Schließlich habe ein Kurde denselben Wachmann mit einer Eisenstange angegriffen, so daß er „instinktiv“ auf ihn geschossen habe. Auch dieser Mann sackte zusammen.  Unterdessen hätten sich Kurden mit einer Mitarbeiterin des Konsulats im zweiten Stock verschanzt. Die Frau konnte später, als die deutsche Polizei kam, ohne Gewalt befreit werden.
Die Obduktionen ergaben, daß Ahmet Acar (24) durch einen Beckensteckschuß starb, Mustafa Kurt (28) wurde von einem Projektil in die rechte hintere Brustseite getroffen. Die 18jährige Sema Alp wurde zweimal getroffen: im Hinterkopf und unterhalb des linken Schulterblatts. Sinan Karakus (26) starb erst am vergangenen Samstag an einem Querschläger, der in ihn den Nacken traf.
Die Schützen genießen diplomatische Immunität und können, so Karge, nicht noch einmal vernommen werden.  Dies wäre aber notwendig, um die Widersprüche zu klären, die sich aus den Aussagen der deutschen Polizisten ergeben. Danach haben 50 bis 70 Kurden, die mit Knüppeln und Stangen bewaffnet waren, die 25 Polizisten am Konsulat überrannt. Zehn der Angreifer drangen in das Gebäude ein. Die Polizisten folgten auf das Gelände des Konsulats. Dann hörten sie erste Schüsse. Später beobachteten sie, wie „zumindest einer“ der Israelis aus dem Haus heraus auf die Treppe schoß, die hinauf zum Eingang führt und auf der Kurden in das Gebäude drängten. Die Israelis, so die Aussagen, hätten sehr schnell geschossen, so daß die Polizisten sich in Deckung gebracht hätten. Auch sahen die Polizisten, wie Geschoßhülsen die Treppe hinunterfielen. Ein Israeli, so die Angaben von sieben Beamten, habe im Stehen geschossen und mit ausgestrecktem Arm seine Waffe, Typ Glock 9 Millimeter, nachgeladen; der andere habe gekniet. Wieviele Schüsse wirklich gefallen sind, ist noch unklar:
17 sagen die Israelis, 8 bis 30 haben die Polizisten gezählt.  Außerhalb des Hauses seien keine Geschoßhülsen gefunden worden, sagte Karge. Ingesamt wurden neben den Toten noch 12 oder 13 Kurden getroffen. „Die genaue Zahl wissen wir nicht, weil sich die Kurden als Beschuldigte nicht äußern“, sagte Karge. Israelische Behörden hatten bislang betont, daß nur im Haus geschossen worden sei und die Wachleute in äußerster Notwehr gehandelt hätten. Nur ein Warnschuß sei nach außen abgegeben worden. In Bezug auf die Verwundungen von Sema Alp sagte
Karge, sie entsprächen nicht der „klassischenNotwehrsituation“. Ob die Wachleute wirklich nur in
Notwehr gehandelt oder mehr als notwendig geschossen haben, konnte Karge noch nicht beantworten. „Wir
wollen das aber genau ermitteln.“