Berliner Zeitung 03.03.1999
Untersuchungsausschuß um tödliche Schüsse immer wahrscheinlicher
Ungeklärte Fragen zum Tathergang –handelten Schützen in Notwehr?
Von Michael Helberg und Matthias Gebauer

Die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses, der die Umstände der tödlichen Schüsse am israelischen Konsulat klären soll, wird immer wahrscheinlicher. Sowohl der Vorsitzende des Rechtsausschusses des Abgeordnetenhauses, Norbert Schellberg (Bündnis 90/Grüne), als auch die Sicherheitsexpertin der SPD, Heidemarie Fischer, sprachen sich für einen solchen Schritt aus, sollte Justizsenator Ehrhart Körting am Donnerstag im Rechtsausschuß „nur unzureichend informieren“ (Schellberg).
Tatsächlich gibt es auch vierzehn Tage nachdem israelische Wachleute des Inlandsgeheimdienstes „Shin Beth“ vier Kurden bei der versuchten Besetzung des Konsulates in der Schinkelstraße töteten, so gut wie keine offiziellen Stellungnahmen der ermittelnden deutschen Staatsanwaltschaft zum Tathergang. Offen ist derzeit vor allem die Frage, ob die Schüsse aus „Notwehr in die Beine“ innerhalb des Gebäudes abgegeben wurden, wie die israelische Botschaft in Bonn in einem ersten Bericht in der vergangenen Woche behauptete.
Die Schützen, die nach unterschiedlichen Angaben zwischen 15 und 30 Schuß aus ihren 9-mm-Dienstpistolen (Typ Jericho) abgaben, wurden bislang nur als Zeugen vernommen. Gegen die beiden, die zwei Tage nach den Schüssen, nach israelischer Darstellung „aus Sorge vor Racheakten“, nach Israel geflogen wurden, liegen im Rahmen des Todesermittlungsverfahrens keine Anzeigen vor.
Polizisten der Einsatzbereitschaft, die eintraf, als die ersten Schüsse bereits gefallen und Kurden bis in den ersten Stock des Konsulats vorgedrungen waren, filmten die Geschehnisse von der Frontseite des Konsulates aus. Den Aufnahmen und Zeugenaussagen zufolge schoß mindestens ein Wachmann ins Freie, in eine zweite Gruppe von mit Ästen und Stangen bewaffneten Kurden. Er soll sein Magazin demnach wahllos leergeschossen haben. Polizisten sagten auch aus, daß die Tür zum Konsulat von innen geöffnet wurde. Ein Sprecher der israelischen Botschaft nannte diese These „absurd“ und „falsch“.
In einer veränderten Darstellung gegenüber dem „Tagesspiegel“ soll die israelische Botschaft jetzt zum Tathergang schreiben, daß „ein Sicherheitsbeamter nach zwei ersten gezielten Schüssen“ von der Konsulatstreppe aus auf die teilweise gestürzten Kurden schoß. Dieser zweiten israelischen Darstellung waren Berichte in der „Berliner Zeitung“ vorausgegangen, die aussagten, daß mindestens zwei der getöteten Kurden durch Kopfschüsse ums Leben kamen. Die 18jährige Selma Alp wurde dabei von einer Kugel seitlich von hinten getroffen. Diese Darstellungen ließen Zweifel an der Notwehr-These der Botschaft aufkommen. Zunächst hatte die israelische Seite angegeben, alle Schüsse bis auf einen Warnschuß seien im Gebäude gefallen. 


KURDEN
Projektile trafen Opfer seitlich in den Kopf
Wachsende Zweifel an israelischer Notwehr-Version 

Von Matthias Gebauer und Michael Helberg
BERLIN, 2. März. Zwei Wochen nach der Schießerei am israelischen Konsulat gerät die israelische Version, die tödlichen Schüsse auf vier Kurden seien in „Notwehr“ abgegeben worden, weiter in Zweifel. Wie aus dem Bericht der behandelnden Ärzte des am Wochenende verstorbenen Kurden Sinan Karakus und dem Obduktionsbericht über die 18jährige Sema Alp hervorgeht, haben die Projektile aus den Waffen der Sicherheitsbeamten die Kurden seitlich in den Kopf getroffen. Im Obduktionsbericht zum Fall Sema Alp wird die Richtung des tödlichen Projektils in den Kopf mit „seitlich halbschräg von hinten“ angegeben. Ein weiterer, nicht tödlicher Schuß soll die Frau in den Rükken getroffen haben. Ein weiteres Todesopfer, der 24jährige Ahmet Acar, wurde durch zwei Schüsse in den Bauch, der 28jährige Mustafa Kurt von seitlichen Schüssen durch die Brust getötet.
Diese neuen Fakten, vor allem die verschiedenen Schußrichtungen, stehen im Widerspruch zu der von den Israelis verbreiteten Version, in der von gezielten Schüssen aus Notwehr gesprochen wurde. Auf der Israelis wollte man dazu keine Stellung nehmen. „Wir bleiben bei unserer Erklärung“, so der Sprecher der Botschaft in Bonn, Dan Heiman. Genauso hatte er auf die Tatsache reagiert, daß zwei der Toten durch Kopfschüsse getötet wurden. Der Sprecher wies auch einen Bericht von Berliner Ermittlern zurück: Danach sollen Polizisten ausgesagt haben, daß die Leichen der im Treppenhaus erschossenen Kurden von den Ermittlern der Mordkommission im Keller aufgefunden wurden. Eine Rekonstruktion sei so erschwert worden.  Nach Angaben des Botschaftssprechers hätten deutsche Beamte die Leichen nach unten gebracht.
Aufklärung gefordert
In Berlin forderten Vertreter aller Parteien von Justizsenator Körting (SPD) im Rechtsausschuß am Donnerstag endgültige Aufklärung. Andernfalls verlangten Vertreter der Grünen und der SPD einen Untersuchungsausschuß. Staatsanwaltschaftssprecherin Michaela Blume sagte: „Solange die Vorwürfe nicht umfassend geprüft worden sind, werden Einzelheiten nicht öffentlich gemacht.“ Dazu zähle auch der Obduktionsbericht.