An Presse und Öffentlichkeit

Seit 1993 habe ich immer wieder versucht, dem Bedarf nach einer friedlichen und gewaltlosen Lösung der kurdischen Frage entgegen zu kommen. Aus diesem Grund habe ich viermal einseitige Waffenstillstände ausgerufen, die jedes Mal ergebnislos geblieben sind. Seit zehn Jahren bin ich überzeugt, dass man mit Gewalt nur bis zu einem bestimmten Punkt kommen kann. Eine endgültige Lösung ist damit nicht zu erreichen. Allerhöchstens kann man damit einen Staat zum Einsturz bringen, doch das Dach bei einem solchen Einsturz würde sowohl uns als auch den Staat unter sich begraben. Deshalb bin ich von der Notwendigkeit von Waffenstillständen überzeugt. Es ist viel Blut geflossen. Auf beiden Seiten sind unzählige Menschen gestorben, aber ein Lösungsweg hat sich damit nicht aufgetan. Die Öffentlichkeit kennt unsere Bemühungen in den Phasen der Waffenstillstände. Ich muss diese nicht ausführlich erläutern. Doch all diese Bemühungen sind leider vereitelt worden. Die Gründe dafür lagen bedauerlicherweise sowohl bei uns als auch beim Staat.

Seit einer Weile äußern in der Türkei vernünftige Kreise, Anhänger der Demokratie und verschiedene Gruppen das dringende Bedürfnis nach Waffenstillstand und Frieden. Daher ist es nun nötig, das Blutvergießen endlich zu stoppen und dem Frieden eine weitere Chance zu geben.

Eine demokratische Lösung in der Türkei durch demokratische Schritte, die jetzt unternommen werden müssen, wird auch als Beispiel für die anderen Länder dienen, in denen die kurdische Frage existiert. Die Türkei kann so somit zu einer Demokratie werden, die ein Modell für den gesamten Mittleren Osten darstellt. Dies ist zum Nutzen aller Völker im Mittleren Osten. Denn im Mittleren Osten finden heftige Kämpfe statt, große Gefahren drohen den Menschen. Diese Situation kann nur überwunden werden, wenn sich die Demokratie etabliert. Die Entwicklung einer demokratischen Kultur in unserem Land bietet die Chance zur Entstehung einer demokratischen Einheit und Allianz zwischen Türken und Kurden und ist somit von überragender Bedeutung für die Zukunft unserer Völker.

Dieser Prozess wird auch den Weg für einen demokratischen Dialog frei machen.

Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass in der Türkei und im Mittleren Osten Waffen nicht ewig als eine Methode gelten, um etwas zu erreichen. Lasst uns die Waffen begraben

Damit all dies erreicht werden kann, leiste ich meinen Beitrag und rufe die PKK zu einem Waffenstillstand auf. Ich hoffe, dass die PKK diesem Aufruf folgt und dass er zu dem gewünschten Ergebnis führt.

Dieser beginnende Waffenstillstandsprozess ist notwendig, aber nicht hinreichend. Es gibt viele wesentliche Dinge, die anschließend getan werden müssen.

Vor allem ist muss dieser Prozess Dauerhaftigkeit gewinnen. Während dieses Prozesses kann es zu Provokationen kommen, ich glaube jedoch nicht, dass diese auf Seiten der PKK stattfinden. Falls doch, müssen sie überwunden werden, daraus darf man kein großes Problem machen. Beide Seiten sollten sich nicht provozieren lassen und den Prozess mit Aufrichtigkeit fortführen.

Es kann sein, dass die Armee aus Sicherheitsgründen und weil es sich um einen Staat handelt, gewisse Dinge tut. Dem kann man mit Verständnis begegnen, aber ich hoffe, dass die Armee keine großen Operationen durchführen wird. Für die andere Seite gilt, wie ich schon mehrfach betont habe, dass es sich bei der legitimen Selbstverteidigung um ein unveräußerliches Recht und eine Pflicht handelt. Die PKK wird definitive keine Waffen einsetzen, solange keine Vernichtungsaktionen gegen sie ausgeführt werden.

Damit der Prozess voranschreitet, ist verantwortungsbewusstes Handeln notwendig. Dieser Waffenstillstand sollte nicht wie früher als eine Schwäche aufgefasst werden. Alle sollen wissen, dass er aus dem dringenden Bedürfnis nach gesellschaftlichem Frieden resultiert.

In diesem Prozess müssen wir gemeinsam die demokratische Einheit von Kurden und Türken erreichen. Wenn der Prozess, der jetzt beginnt, gut genutzt wird, kann er zu einer „demokratischen Neugründung“ der Republik führen. Es kann die gleiche Begeisterung, Dynamik und Einheit wir bei ihrer ersten Gründung entstehen.

Der Ministerpräsident hat einen Satz gesagt, den ich bedeutend finde: „Wir können die Türkei zu einem besonderen Land machen, das dem ganzen Mittleren Osten als Vorbild dienen kann.“ Das ist genau, was ich auch will. Ich richte mich an die oberste Staatsspitze, wenn ich sage: Wir können die Türkei gemäß ihrer spezifischen Bedingungen zu einem Modellland für den Mittleren Osten machen. Kommt, lasst uns gemeinsam das Nötige tun. Denn Frieden im Mittleren Osten kann nur durch eine demokratische Einheit von Türken und Kurden erreicht werden. Die Grundlage dafür können nur wir selbst im Innern legen. Dafür muss man mit allen reden. Mit allen Gruppen in der Türkei muss man reden, mit der Presse, allen politischen Parteien, zivilgesellschaftlichen Organisationen, allen, die es angeht und die Interesse zeigen, damit sie etwas zu diesem Prozess beitragen. Von einer demokratischen Lösung, von Frieden und Dialog profitieren alle.

Ich handele in guter Absicht, und ich erwarte, dass auch der Staat in guter Absicht handelt. Wenn meine Überlegungen Beachtung finden, wenn wir den Frieden erreichen, wird die Türkei in jeder Hinsicht einen Sprung vorwärts machen. Sie wird von einer großen Last befreit, ihre Wirtschaft kommt ins Lot. Sie wird im Mittleren Osten an Ansehen gewinnen und zu einem politischen Vorbild werden.

Auch die Länder der Europäischen Union und die Kräfte in Südkurdistan sollten ihren Beitrag leisten. Es sollten auch Gespräche mit dem Iran, dem Irak und Syrien geführt werden, um diese Staaten zu einer friedlichen Lösung der kurdischen Frage zu ermutigen.

EU und USA müssen Unterstützung leisten oder zumindest nicht behindernd wirken.

Ich hoffe, dass alle betreffenden Kreise diesen Aufruf verantwortungsbewusst und sorgfältig nutzen und diesen Prozess nicht wie die vorhergehenden ungenutzt verstreichen lassen. Denn er könnte unsere letzte Chance sein. Wenn dieser Prozess nicht richtig und aufrichtig genutzt wird, können die Entwicklungen an einem Punkt ankommen, an dem es kein Zurück gibt. Wenn es diesmal kein Ergebnis gibt, dann sehe ich mich außerstande, noch einen Aufruf zu machen, und auch die PKK würde dann nicht mehr auf mich hören. Daher ist dieser Waffenstillstand so wichtig und muss genutzt werden.

Damit im Mittleren Osten eine Kultur der Demokratie entstehen kann, damit ein türkisch-kurdisches Bündnis und eine Einheit entsteht, damit das gegenwärtige Leid in einen würdevollen Frieden und in Glück verwandelt wird, für ein freies Leben, damit unsere Völker nicht weiter leiden, damit wir ein Zehnfaches dessen gewinnen, was wir verloren haben und damit es zu gegenseitiger Liebe und Toleranz kommt, rufe ich alle zu verantwortlichem Handeln auf. Ich bin davon überzeugt, dass dieser Prozess eine große Gelegenheit darstellt und wünsche, dass ein Waffenstillstand auf dieser Basis einen guten Anfang darstellen möge.

Liebe und Respekt

27.09.2006
Imrali
Abdullah Öcalan

Übersetzung aus dem Türkischen