telepolis, 10.12.2015

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Syriens Opposition: zerstritten und abhängig

Thomas Pany

Die drei Oppositionskonferenzen in Riad, in Rumeilan und in Damaskus bieten wenig Aussichten auf eine Einigung

Keine Bomben mehr, keine Gefechte, sondern Waffenstillstand in Syrien, endlich. Das wäre ein unglaublicher diplomatischer Erfolg der Weltgemeinschaft. Doch wer soll den mit allen Wasser gewaschenen Verhandlungsprofis der syrischen Regierung gegenübersitzen und einen Deal aushandeln, der in den Stellungen der Milizen Gehör findet?

Nach der Wiener Erklärung der International Syria Support Group (ISSG) soll der Waffenstillstand in Kraft treten, "sobald die Vertreter der syrischen Regierung und die Opposition erste Schritte zu einem Übergang begonnen haben, der unter der Schirmherrschaft der UN auf der Basis des Genfer Kommuniqués geschieht".

Im Genfer Kommuniqué von 2012 ist die oberste Leitlinie für den politischen Übergangsprozess formuliert: Er solle eine Perspektive für die Zukunft geben, "die von allen geteilt wird".

Utopie und Konkurrenz

Das ist nach Lage der Dinge utopisch. Derzeit tagen im saudischen Riad, im syrischen Kurdengebiet, in Rumeilan, und in Damaskus Mitglieder völlig unterschiedlicher Oppositionsgruppen, die sich untereinander uneins sind, um jeweils einen common ground zu finden.
Konferenz-Organisator: der saudi-arabische Außenminister Adel al-Jubeir. Foto: Screenshot

Die Konferenzen konkurrieren miteinander und die Teilnehmer untereinander. Das größte und wichtigste Treffen findet im Hotel Intercontinental in Riad statt, 100 Teilnehmer, 15 Vertreter von Milizen, politische Opposition, die weit entfernt ist von Damaskus (Syrian National Coalition), nah dran an der Regierung in Damaskus (National Coordination Committee). Einig sind sich die beiden Gruppen darin, dass sie säkular ausgerichtet sind.

Es gab aber auch andere, islamistisch ausgerichtete Teilnehmer, und solche Einstellungsunterschiede markierten noch nicht einmal die hauptsächlichen politischen Differenzen. Die gingen darüber, wer von der Regierung Bashar al-Assad, den Präsidenten eingeschlossen, bleiben darf oder weg muss, bis hinein in die Armeeführung und den Sicherheitsapparat.

Entbaathifizierung größeren Stils gefordert

Die Exiloppositionellen vom SNC, unterstützt von Saudi-Arabien, der Türkei und den USA, denken hier an eine Entbaathifizierung größeren Stils, ungeachtet der schlechten Erfahrungen im Irak mit solchen großen Akten. Unterstützer finden sie bei den Vertretern der Milizen. Aber auch dort ist das Lager recht unterschiedlich geartet.

Eingeladen sind die Salafisten-Dschihadisten von Ahrar al-Sham, dazu die Sham Legion, die von den Muslimbrüdern unterstützt werden, die islamische Armee, deren Namen aussagekräftig genug ist, dazu die Islamisten von der Asala wa-Tanmiya Front und einige FSA-Fraktionen, Mitglieder der Südlichen Front - unterstützt von der Gemeinschaft der "Freunde Syriens".

Signale der Hoffnung

Auch wenn das ganz nach dem Üblichen aussieht, gibt es doch ein paar bemerkenswerte Aspekte. Zum einen war Russland in die Zusammenstellung der Konferenz eingebunden, weswegen die Opposition, die in Damaskus sitzt, das National Coordination Committee (NCC) und das Building the Syrian State Movement, ebenfalls mit von der Partie waren.

Und es gab politische Streitpunkte - wie etwa darüber, ob die konstitutionellen Machtbefugnisse des Präsidenten beschnitten werden sollen -, die nicht nach einer Sackgasse aussehen und einen gemeinsamen Nenner bilden können.

Von Beobachtern wird dazu als bemerkenswert erwähnt, dass die Einladung der radikalen Islamisten-Miliz Ahrar al-Sham dadurch gerechtfertigt erscheint, dass man damit einen grundlegenden Fehler behebt, der die Genf-II-Verhandlungen des letzten Jahres wirkungslos machte. Damals fehlten Milizen, die auf den Kampffeldern Einfluss haben. Ahrar-al-Sham hat dagegen größeren Einfluss und wahrt damit die Chance, dass Gespräche mit der Opposition tatsächlich Wirkung auf das Kriegsgeschehen haben.

Freilich ist das eine Sichtweise, die umstritten ist. Ahrar al-Sham steht in enger Verbindung zur al-Qaida-Truppe al-Nusra-Front, ob man sich damit nicht einen Wolf im Schafspelz an den Tisch holt, ist die Frage.

Weil der Veranstalter Saudi-Arabien heißt, war klar, dass gewisse Günstlinge eingeladen werden. Dagegen durften andere Gruppierungen mit demokratisch-emanzipatorischen-säkularen Zielvorstellungen wie die Kurden von der PYD, YPG, YPJ, TEV-DEM usf. nicht kommen. Die Türkei verwehrte sich dagegen. Mit den Terroristen der PKK könne man nicht verhandeln.

Diese Formel ist die Kernformel des Nahost-Konflikts seit vielen Jahrzehnten, sie gilt mit Aktualisierungen in der Grundform auch für Syrien: Mit Terroristen wird nicht verhandelt, aber wie kann ein Waffenstillstand daraus entstehen?

Kurden: Interessensunterschiede zwischen Türkei und USA

Dazu kreuzen sich weitere Konfliktlinien. So etwa zwischen den USA und der Türkei. Die Teilnehmer der Konferenz im syrischen Kurdistan gehören zum Großteil zu der von den USA unterstützten Gruppe der syrisch-demokratischen-Streitkräfte. Überdies stehen sie in gutem Verhältnis zu Russland und zu keinem schlechten mit Baschar al-Assad.

Das kann man auch zu den oppositionellen Konferenzteilnehmern in Damaskus sagen, deren Relevanz vom schwedischen Syrien-Experten Lund allerdings als weniger wichtig eingeschätzt wird.

Im Moment sieht es nicht danach aus, als ob Assads Verhandlungsdelegation schon, wie geplant, Anfang Januar ein ernst zu nehmendes, weil relevantes oppositionelles Gegenüber hätte. Die Macht der oppositionellen Gruppen hängt bei allen von der Stärke der dahinterstehenden Staaten ab.