FAZ, 10.12.2015

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Syrische Opposition in Riad

Ein Plan für ein Ende des Bürgerkriegs

Die bewaffneten Gegner des Assad-Regimes sind auf viele verschiedene Gruppen aufgeteilt. Eine Konferenz in Saudi-Arabien soll ihre Annäherung vorantreiben. Jetzt haben sie einen gemeinsamen Plan gefasst.

von Rainer Hermann

Die zersplitterte syrische Opposition hat auf ihrer Einigungskonferenz in Riad einen Acht-Punkte-Plan zur Zukunft des Landes vereinbart. So soll ein demokratischer, ziviler und pluralistischer Rechtsstaat ohne den jetzigen Machthaber Baschar al Assad aufgebaut werden, wie ein Sprecher des Oppositionsbündnisses Nationale Syrische Koalition am Donnerstag mitteilte. Geeinigt hätten sich die Teilnehmer auch auf die Wahrung der Menschenrechte, die Bekämpfung des Terrorismus und die Ablehnung aller ausländischen Kräfte im Land.

Rainer Hermann Autor: Rainer Hermann, Redakteur in der Politik. Folgen:

Am zweiten Tag des Treffens in der saudischen Hauptstadt soll an diesem Donnerstag über die geplante Übergangsphase diskutiert werden, die den Verhandlungen mit dem Regime folgen soll. Dabei wird es auch um den umstrittenen Punkt gehen, wann genau Assad abtreten soll.

Zu dem Treffen in der saudischen Hauptstadt waren mehr alle 100 Regimegegner verschiedener Gruppierungen zusammengekommen. Die Konferenz ist ein wichtiger Teil eines politischen Fahrplans, auf den sich die internationale Gemeinschaft im November in Wien zur geeinigt hatte, um den schon fast seit fünf Jahren andauernden Bürgerkrieg in Syrien zu beenden. Das jetzige Treffen in Riad ist das größte seiner Art seit Jahren. Auch diesmal ist die Exilopposition wieder überproportional stark vertreten, an ihrer Spitze die Syrische Nationale Koalition. Erstmals wurden aber auch viele Vertreter der bewaffneten Opposition eingeladen.

Weiter große Meinungsverschiedenheiten

Die zahlreichen Oppositionsgruppen hatten sich seit Ende 2014 angenähert. Entscheidend sei nun, dass die bewaffneten Oppositionsgruppen keine Einwände gegen die Wiener Erklärung erhöben, sagt der Syrien-Experte der Denkfabrik Carnegie in Beirut, Yezid Sayigh. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Gruppen bleiben dennoch groß. Nicht eingeladen sind die zum Terrornetz Al Qaida gehörende Nusra-Front und selbstredend die Terrororganisation „Islamischer Staat“

Die als prowestlich geltende Freie Syrische Armee, ein Dachverband zahlreicher kleiner Gruppen, vertritt in Riad die größte Truppenstärke. Im Süden Syriens bekennen sich zu ihr um Daraa, Qunaitra und Damaskus rund 25.000 Kämpfer, im Norden Syriens von Homs bis Aleppo und Idlib weitere 20.000. Die Ahrar al Sham, die in Riad ebenfalls vertreten ist und einen islamischen Staat fordert, hat 15.000 Mann unter Waffen, die von Saudi-Arabien unterstützte „Armee des Islams“ 12.500. Während westliche Staaten die Ahrar al Sham als islamistische Extremisten sehen, haben Saudi-Arabien, Qatar und die Türkei diese Skrupel nicht. Möglicherweise soll Ahrar al Sham durch die Teilnahme für den weiteren Prozess „weißgewaschen“ werden.

„Gemäßigte Rebellengruppen“ unterstützen

Hinzu kommen kleinere regionale Milizenverbände wie „Asalah wa al tamiyah“, die von den Qalamun-Bergen bis Homs und Hama aktiv sind (5000 Kämpfer), die „Sham-Legion“ im Großraum Aleppo und Idlib (4000 Kämpfer), die islamistischen „Ajnad al Sham“ nahe Damaskus (3000 Kämpfer), die „Rahman-Legion“ nahe Damaskus (2000 Kämpfer) sowie weitere 30 Gruppen mit zusammen etwa 16.000 Kämpfern.

Die meisten der etwa 20 großen Rebellengruppen sind regional oder sogar nur auf lokaler Ebene aktiv. An ihren Rändern wird der Zusammenhalt locker, und an den Übergängen entstehen Hunderte kleiner Gruppen, die sich immer wieder mit anderen Akteuren zusammenschließen. Auf nationaler Ebene sind wenige Akteure sichtbar. In der Summe bringen die kleinen lokalen Gruppen aber ebenso viele Kämpfer zusammen wie die wenigen großen.

Viele dieser zahlreichen Gruppen beanspruchen für sich, Teil der „Freien Syrischen Armee“ (FSA) zu sein. Denn der Westen will nur sogenannte „gemäßigte Rebellengruppen“ unterstützen. Das hat den Eindruck erzeugt, dass es eine zusammenhängende FSA überhaupt gebe. Von ihr war erstmals im Juli 2011 die Rede, als die Türkei den früheren syrischen Oberst Riad Asaad als Kommandeur in der Hoffnung förderte, den Aufstand gegen das Regime Assad zusammenzuführen.

Von der prowestlichen FSA abgrenzen

Die FSA fiel zwar auseinander. Alle weiteren Versuche, eine gemeinsame Truppe mit einer einheitlichen Kommandostruktur zu schaffen, scheiterten und wurden schließlich 2014 aufgegeben. Der Name hat sich aber gehalten, er wurde die Voraussetzung dafür, dass Rebellen Unterstützung aus dem Westen und den Golfstaaten bekommen. Der Name sollte sicherstellen, dass sich die Aufständischen von Al Qaida abgrenzen und für westliche Werte wie Demokratie und Pluralismus stehen.

Auch ohne einen eindeutigen Ansprechpartner wurden in der Türkei und in Jordanien „Militärische Operationszentren“ eingerichtet, von denen aus die Kämpfer mit Waffen und Nachschub versorgt werden. In ihnen sind auch Repräsentanten anderer Länder – etwa der Vereinigten Staaten, Frankreichs, Saudi-Arabiens und Qatars – vertreten. In den „Operationszentren“ werden die Gruppen ausgewählt, die unterstützt werden sollen, was nicht ausschließt, dass auch Private aus den Geberländern, vor allem den Golfstaaten, extremistische und dschihadistische Gruppen unterstützen.

Das „Operationszentrum“ in Jordanien hat einen größeren Einfluss auf die Kämpfer im Süden Syriens als jenes in der Türkei für den Norden Syriens, wo der „Islamische Staat“ und die zu Al Qaida gehörende Nusra-Front weite Teile des Territoriums halten. Noch unübersichtlicher wird die Lage, weil zahlreiche bewaffnete Gruppen zwar von den „Operationszentren“ unterstützt werden, nicht aber den Namen FSA tragen, da sie sich in der Vergangenheit mit einem islamistischen Programm von der prowestlichen FSA abgrenzen wollten, sie inzwischen unter den Schirm der „Operationszentren“ aufgenommen wurden.
Saudi-Arabien unter Druck

So gehört die von Saudi-Arabien direkt unterstützte „Armee des Islams“ zwar offiziell nicht zur FSA; sie hat aber eine Erklärung von fünfzig Rebellengruppen für die FSA mitunterzeichnet. Zudem arbeiten kleine arabische Gruppen mit den syrisch-kurdischen Milizen YPG; sie nennen sich FSA, ohne einem „Operationszentrum“ zugeordnet zu sein. Die russischen Luftschläge, die am 30. September begonnen haben, radikalisieren die Opposition. Denn viele Gruppen suchen nun Schutz bei der militärisch starken Nusra-Front.

Saudi-Arabien hatte bereits vor dem russischen Eingreifen im Syrien-Krieg sowie vor den beiden Konferenzen zu Syrien in Wien im Oktober und November begonnen, eine Konferenz der syrischen Opposition vorzubereiten. Auslöser war, dass im Sommer die von Saudi-Arabien unterstützte Offensive der bewaffneten Opposition im Süden Syriens weitgehend wirkungslos geblieben war. Seither sucht Saudi-Arabien nach neuen Möglichkeiten, um die Rebellen zu unterstützen.

Saudi-Arabien stehe zunehmend unter Druck, im Syrien-Krieg Erfolge vorzuweisen, sagt Sayigh. Denn der Krieg, den Saudi-Arabien seit März im Jemen mit hoher Priorität, aber ohne großen Erfolg führt, zieht Ressourcen und Aufmerksamkeit ab. Da Saudi-Arabien die Meinungsverschiedenheiten mit Qatar und der Türkei über das Vorgehen in Syrien beigelegt hat, steigen die Chancen auf eine Einigung der sunnitischen Oppositionsgruppen. Zudem sind die bewaffneten Oppositionsgruppen in den vergangenen Monaten politisch „reifer“ geworden und haben sich angenähert.