junge Welt, 08.12.2015

http://www.jungewelt.de/2015/12-08/028.php

Anspruch auf Mossul

Türkei will Truppenpräsenz im Nordirak trotz Protesten der Bagdader Regierung ausbauen

Von Nick Brauns

Die Türkei will vorerst keine neuen Kampftruppen zur Verstärkung ihres Stützpunktes bei Mossul im Nordirak schicken. Das kündigte die Regierung in Ankara am Sonntag an, nachdem der irakische Ministerpräsident Haider Al-Abadi damit gedroht hatte, den UN-Sicherheitsrat wegen der Verletzung der territorialen Integrität einzuschalten, wenn Ankara seine Einheiten nicht innerhalb von 48 Stunden zurückziehen würde. »Es wird keine weiteren Verlegungen nach Baschiqua geben, solange die Bedenken der irakischen Regierung nicht ausgeräumt sind«, versicherte der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu in einem Schreiben an Abadi.

Von dem geforderten Rückzug der Ende vergangener Woche nach Baschiqua verlegten 150 Kommandosoldaten und Dutzender Panzer ist nicht die Rede. Die Regierung in Ankara behauptete, diese seien ein Teil der routinemäßig erneuerten Ausbildungsmission für kurdische Peschmerga. Dagegen erklärte Bagdad, das Truppenkontingent sei »ohne Wissen und Billigung« der irakischen Regierung in das Land verlegt worden. »Türkische Panzer werden in die Luft fliegen, wenn sie den Irak nicht sofort verlassen«, drohte unterdessen der irakische Parlamentsabgeordnete und Führer der schiitischen Badr-Miliz, Hadi Al-Ameri, am Montag in Bagdad.

Seit März 2015 unterhält die Türkei rund 30 Kilometer von der vom »Islamischen Staat« (arabisch Daesch) kontrollierten Millionenstadt Mossul in dem christlich-jesidischen Ort Baschiqua ein Trainingscamp für Peschmerga. Die Einrichtung des Ausbildungslagers sei im Dezember 2014 in Bagdad zwischen Davutoglu und Abadi im Hinblick auf die geplante Befreiung Mossuls vereinbart worden, erklärte ein anonym bleibender türkischer Regierungsvertreter am Sonntag gegenüber Hürriyet Daily News. »Das ist keine Operation der US-geführten Koalition, aber wir informieren sie über jedes Detail.« Demnach hatte der irakische Verteidigungsminister Khaled Al-Obeidi das Camp am 27. November 2015 besucht. Ein anderes türkisches Ausbildungslager befindet sich bei der Stadt Diana innerhalb der kurdischen Autonomiezone.

Unterdessen meldet die Zeitung Daily Sabah am Montag einen geplanten Ausbau der türkischen Militärpräsenz in der Region. Tatsächlich hatte Ankara bereits seit Ende der 90er Jahre Truppen im irakischen Grenzgebiet zur Türkei stationiert. Diese hatten damals im innerkurdischen »Bruderkrieg« auf Seiten der Demokratischen Partei Kurdistans des derzeitigen Präsidenten der autonomen Region Kurdistan, Massud Barsani, gegen dessen Rivalen von der Patriotischen Union Kurdistans eingegriffen.

Daily Sabah beziffert das derzeitige türkische Kontingent im Nordirak auf 1.200 Infanteriesoldaten sowie 500 Armeeangehörige, die mit Panzern und Artillerie ausgestattet sind. Dazu kommen 400 Kommandosoldaten mit 20 bis 25 Panzern in der Grenzstadt Kanimasi.

Auf eine »PKK-Dimension« der Truppenverstärkung verweist der Chefredakteur der Tageszeitung Hürriyet Daily News, Murat Yetkin. In Ankara gäbe es Befürchtungen, dass nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets durch die türkische Luftwaffe ein »fruchtbarer Boden« für »prorussische und proiranische Agitatoren« entstanden sei. Diese könnten die Arbeiterpartei Kurdistans PKK zu Angriffen auf die Ausbildungscamps im Irak anstacheln, schrieb Yetkin.

Sowohl die Türkei als auch die mit ihr durch Energiegeschäfte eng verbundene Barsani-Regierung sehen in der PKK-Präsenz im Nordirak eine Bedrohung. So unterstützt die PKK, deren Guerilla führend an der Befreiung der Region Sindschar von Daesch vor drei Wochen teilnahmen, den Wunsch vieler Jesiden nach einer selbstverwalteten Region »Ezidxan«. Barzani will Sindschar dagegen der kurdischen Autonomieregion einverleiben.

Mit der Verstärkung ihrer Kampftruppen im Nordirak bereitet sich die Türkei auf einen möglichen Zerfall des Irak vor. Nationalistische Kreise erheben bis heute Gebietsansprüche auf die Region um Mossul einschließlich der gigantischen Ölfelder von Kirkuk. Sie berufen sich dabei auf den Nationalpakt aus dem Jahr 1920. Dieses politische Manifest der Unabhängigkeitsbewegung rechnet die ehemalige osmanische Provinz Mossul ausdrücklich zum türkischen Staatsgebiet.