welt.de, 02.12.2015

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Russlands bombastisches Anti-Erdogan-Spektakel

Das russische Militär lädt zu einer großen Show ins Kommandozentrum: Der stellvertretende Verteidigungsminister legt angebliche Beweise vor, dass das Öl vom IS in die Türkei verkauft wird. Von Julia Smirnova
Vor großer Kulisse: Russische Militärangehörige stellen Satellitenaufnahmen vor. Die sollen beweisen, dass die Türkei mit dem Islamischen Staat Geschäfte betreibt
Foto: dpa Vor großer Kulisse: Russische Militärangehörige stellen Satellitenaufnahmen vor. Die sollen beweisen, dass die Türkei mit dem Islamischen Staat Geschäfte betreibt

Das russische Verteidigungsministerium wollte maximale internationale Aufmerksamkeit. Am Mittwoch lud es eilig Dutzende ausländische Journalisten und Militärattachés zu einem Briefing ein. Das Thema wurde sehr allgemein und leicht mysteriös angekündigt: "Russische Streitkräfte im Kampf mit dem internationalen Terrorismus. Neue Daten." Man hätte vermuten können, dass weitere spektakuläre Videos der russischen Luftangriffe in Syrien (Link: http://www.welt.de/themen/syrien-krise) präsentiert werden, wie es in den vergangenen Wochen schon oft der Fall war. Doch diesmal hatte das Verteidigungsministerium eine besondere Überraschung vorbereitet und für seine Show eine prächtige Kulisse ausgesucht. Zum ersten Mal wurde ausländische Presse ins neue Kontrollzentrum eingeladen, das vor einem Jahr eingeweiht wurde.

Das neu renovierte Gebäude soll ein Symbol für die neue Stärke und Modernität der russischen Armee sein. Strahlend hell beleuchtet steht es am Ufer des Moskwa-Flusses gegenüber vom Gorki-Park. Sollte Russland einen Krieg beginnen, werden von dieser Kommandozentrale aus alle russischen Streitkräfte kommandiert. Unter dem Zentrum soll es Bunker geben, die einen Nuklearschlag überstehen können. Die Innenräume, in denen sich der russische Präsident Wladimir Putin (Link: http://www.welt.de/themen/wladimir-putin) die Berichte seiner Generäle anhört, sehen auch spektakulär aus: mit riesigen Leinwänden und dreistöckigen Tribünen für die Militärs.

Zwar werden die ausländischen Gäste nicht ins Herz der Kommandozentrale gelassen, doch schon die wenigen gezeigten Räume vermitteln eine klare Botschaft: Russland muss stolz auf seine Armee sein. Die Wände der Lobby sind mit Gemälden der großen historischen Schlachten geschmückt. In einer Ecke kann man Souvenirs mit Armeesymbolik oder Putin-T-Shirts kaufen. Und während man vor dem Kaffeeautomaten auf ein Getränk wartet, wird eine patriotisch-militärische Animation angezeigt: ein Panzer, der sich in ein Flugzeug verwandelt und dann wie eine Rakete von einem Schiff in die Luft abhebt.

Die russische Armee wurde in den letzten Jahren nicht nur modernisiert, sondern startete auch eine gigantische Werbekampagne und übt sich jetzt in Öffentlichkeitsarbeit. Die "Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologie für militärische Zwecke" tauchte letztes Jahr zum ersten Mal in der russischen Militärdoktrin auf.

Der heutige Anlass ist Russland besonders wichtig. Die Militärs wollen neue Beweise dafür präsentieren, dass die Türkei den Ölhandel mit dem Islamischen Staat (Link: http://www.welt.de/themen/islamischer-staat) (IS) betreibt. Das ist Putins-Rache für den Abschuss des russischen Militärjets an der türkisch-syrischen Grenze. Die Rhetorik des stellvertretenden Verteidigungsministers Anatoli Antonow ist brutal. Er spricht von einer "Bande Krimineller, mit der türkischen Elite vereinigt". An der großen Leinwand hinter ihm werden Karten und Satellitenbilder gezeigt. Die Schwarz-Weiß-Aufnahmen zeigen angeblich Tanklastwagen und Lkw, mit denen das Öl aus dem vom IS kontrollierten Gebiet in die Türkei transportiert wird. Die Türkei sei der Hauptabnehmer des IS-Öls, sagt Antonow.

Der Vizegeneralstabchef Sergej Ruzkoj zeigte auf der Karte drei angebliche Routen des Öltransports aus Syrien in die Türkei: zu den Häfen am Mittelmeer, zu einer Raffinerie in der Stadt Batman, rund einhundert Kilometer von der türkisch-syrischen Grenze entfernt, und in die Stadt Cizre. Früher soll der IS durch Ölhandel drei Millionen Dollar täglich verdient haben, erklärte Ruzkoj. Doch die russischen Luftschläge hätten die Hälfte der Infrastruktur zerstört, deshalb verdiene der IS jetzt nur noch 1,5 Millionen Dollar täglich.

Die Militärs warfen dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan (Link: http://www.welt.de/themen/reccep-tayyip-erdogan) und seiner Familie vor, sich persönlich durch den Ölhandel zu bereichern. "Erdogan wird seine Schuld nicht zugeben, auch wenn sein Gesicht mit dem gestohlenen Öl beschmiert wird", sagte Antonow.

Es sei nur ein Teil der Informationen über "fürchterliche Verbrechen der türkischen Elite", erklärte der Vizeverteidigungsminister. Nächste Woche wolle Russland ausführliche Beweise darüber veröffentlichen, dass die Türkei Terroristen in Syrien auch mit Waffen beliefere. Sergej Misinzew, Chef des Verteidigungszentrums, sprach bereits am Mittwoch von 120 Tonnen Munition und 250 Fahrzeugen, die in der vergangenen Woche für den IS und al-Nusra über die türkisch-syrische Grenze geschmuggelt wurden.