medien-mittweida.de, 17.04.2009

Von: Marion Uhlendorff

"Stoppt Ilisu–rettet Hasankeyf"

Interview mit Heike Drillisch von "GegenStrömung"

Mit internationaler Beteiligung soll in der Türkei der Mega-Staudamm Ilisu entstehen. Ökologische Probleme, die Zerstörung der historischen Stadt Hasankeyf und eine Zwangsumsiedlung von circa 50 000 Menschen sind die Konsequenz. Unterstützt wird das Bauprojekt auch von Deutschland.

Derzeit läuft die Kampagne "Stoppt Ilisu – rettet Hasankeyf"

Der Ilisu-Staudamm ist Bestandteil des Südostanatolien-Projektes, in dessen Rahmen 22 Staudämme geplant sind. Um das Projekt zu realisieren, sollen über 300 Quadratkilometer Land geflutet und somit etwa 200 Siedlungen zerstört werden, darunter auch die 10 000 Jahre alte Stadt Hasankeyf. Sollte eine Umsetzung der Baupläne erfolgen, wäre es das derzeit größte Wasserkraftwerk und ein wichtiger Impuls für die türkische Wirtschaft.

In Zusammenarbeit mit europäischen Organisationen führt das Netzwerk "GegenStrömung" die Kampagne "Stoppt Ilisu – Rettet Hasankeyf" durch. medien-mittweida.de spricht mit Heike Drillisch der Koordinatorin von "GegenStrömung" über die Hintergründe des geplanten Staudammbaus.

Im März 2007 unterstützten Deutschland, Österreich und die Schweiz die türkische Regierung mit Exportversicherungen in Höhe von circa 450 Millionen Euro. Haben diese staatlichen Hermes-Bürgschaften Einfluss auf den Staudammbau gehabt?

Das gesamte Bau- und Finanzierungskonzept ruht auf diesen Bürgschaften, die circa ein Drittel der eigentlichen Baukosten abdecken. Ohne staatliche Bürgschaften wäre die Kreditaufnahme deutlich teurer. Vor allem aber ist nicht davon auszugehen, dass die europäischen Firmen sich angesichts des mit dem Projekt verbundenen Risikos ohne staatliche Absicherung daran beteiligt hätten.

Nach unzureichender Auflagenerfüllung während des Baus erhielt die türkische Regierung von Deutschland, Österreich und der Schweiz eine Umweltstörungsanzeige. Sind nach dieser Ermahnung die drei europäischen Staaten aus der Finanzierung des Projektes nun endgültig ausgestiegen?

Leider nein. Allerdings ordneten die drei Regierungen am 23. Dezember 2008 die Suspendierung der Lieferverträge an. Selbst nach Versand der Umweltstörungsanzeige im Oktober 2008 hatte die türkische Regierung unter Missachtung der an die Bürgschaften geknüpften Auflagen in Bezug auf Umsiedlung, Umwelt und Kulturgüter an Straßen und Brücken weitergebaut. So konnten die drei europäischen Regierungen nicht umhin, die in den Verträgen vorgesehene Suspendierung anzuordnen. Diese gilt aber nur für 180 Tage. Die türkische Seite ist offenbar sehr bemüht, die Bürgschaften doch noch zu halten und erstellt wieder einmal neue Umsiedlungspläne. Momentan ist völlig offen, ob die drei Regierungen Anfang Juli 2009 tatsächlich aus dem Projekt aussteigen oder ob bei der anstehenden Entscheidung doch wieder Wirtschaftsinteressen die Überhand über Menschenrechte, Umwelt- und Kulturgüterschutz erlangen.

Gab es Auswirkungen auf den Bauablauf aufgrund der Suspendierung der Lieferverträge?

Die Suspendierung der Verträge hat dazu geführt, dass die Bauarbeiten in Ilisu, wo die Staumauer entstehen soll, und in Hasankeyf, der größten betroffenen Stadt, eingestellt wurden. Ohne die Vertragssuspendierung hätte nun die Stuttgarter Firma Züblin mit dem Bau des Umleitungstunnels beginnen sollen. Kündigen die Regierungen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz die Bürgschaften tatsächlich, kann der Bau nicht weitergehen.

Wird durch den Bau des Ilisu-Staudamms die Wasserversorgung anderer Länder wie beispielsweise des Irak betroffen sein?

Die Wasserversorgung des Irak ist in doppelter Hinsicht betroffen. Die Wasserqualität des Tigris wird durch die Aufstauung dramatisch sinken. Diese Auswirkung macht natürlich an der Grenze zu Irak nicht halt. Hydrologen befürchten, dass der Wasserstand des Tigris historische Tiefstände erreichen wird und in trockenen Jahren möglicherweise kaum Wasser im Nachbarland ankommt. Darüber hinaus erhält die Türkei ein weiteres Machtpotenzial gegenüber dem Nachbarn. In der Vergangenheit hat die türkische Regierung die Dämme am weitgehend aufgestauten Euphrat bereits als Drohmittel eingesetzt. Mit Ilisu wird dies nun auch am Tigris möglich. Zudem hat die Türkei völkerrechtswidrig die Nachbarstaaten Syrien und Irak nicht im Frühstadium des Projekts informiert und konsultiert, um eine Vereinbarung über die Aufteilung des Wassers zu erzielen. Obwohl auf Druck der Europäer Gespräche initiiert wurden, ist bis heute keine derartige Vereinbarung in Sicht.

Sollte das Staudammprojekt Erfolg haben, gibt es Maßnahmen der türkischen Regierung im Umgang mit den circa 50 000 Menschen, die zwangsumgesiedelt werden müssten?

Die türkischen Enteignungs- und Umsiedlungsgesetze bleiben weit hinter internationalen Standards zurück. Die Menschen in Ilisu und den umliegenden Dörfern, die bereits enteignet wurden, mussten erfahren, dass von den großartigen Versprechungen, die vor Baubeginn gemacht wurden, nicht viel übrig geblieben ist. So wurden vielen Betroffenen ca. 40 000 bis 50 000 Lira an Entschädigung für ihr altes Haus gezahlt, die neuen Häuser sollen sie jedoch für 70 000 und mehr Lira kaufen. Ersatzland für die bisher überwiegend in der Landwirtschaft tätige Bevölkerung gibt es kaum. Die Auflagen der europäischen Regierungen sollen hier eigentlich Abhilfe schaffen und schreiben vor, dass die Umsiedlungsopfer zumindest den Wiederbeschaffungswert ihres Hab und Guts als Entschädigung erhalten. Zudem sollen neue Einkommensmöglichkeiten geschaffen werden. Doch bisher hat die türkische Regierung diese Auflagen komplett ignoriert. So droht auch den Menschen im Ilisu-Gebiet neben den psychischen Folgen, die der Verlust der Heimat mit sich bringt, große materielle Not.

Wir bedanken uns herzlich für das Interview.