Tagblatt, 23.03.2009

Wasser ist ein umstrittenes Gut

In Istanbul ist gestern das 5. Weltwasserforum zu Ende gegangen. Interessenkonflikte blockieren oft Projekte zur Verbesserung der Wasserversorgung. Auch deren Privatisierung erweist sich nicht als Allheilmittel.

Das Weltwasserforum (WWF), die wohl grösste Konferenz, die je in der Türkei stattgefunden hat, wurde von den regionalen Medien kaum zur Kenntnis genommen. Dabei hatten sich auf beiden Seiten der Wasser des Goldenen Horns rund 23 000 Wissenschafter, Beamte, Unternehmer und Umweltaktivisten aus 182 Ländern versammelt, um eine Woche lang über den Stoff zu reden, aus dem wir alle hauptsächlich bestehen.

Politik untervertreten

Unter den Teilnehmern gab es vereinzelt auch politische Prominenz wie beispielsweise den türkischen Staatspräsidenten Gül, seinen irakischen Kollegen Talabani und den japanischen Kronprinz Naruhito Kotaishi. Allerdings fehlten, wenn man von einer Stippvisite von Regierungschef Tayyip Erdogan absieht, nahezu alle Politiker, die etwa als Ministerpräsidenten unmittelbar das politische Geschehen gestalten.

Organisiert wurde die Konferenz vom Weltwasserrat. Er hat seinen Sitz in Marseilles. Der Rat wurde gegründet, um Ideen zur sicheren Wasserversorgung auszutauschen. Zu seinen Mitgliedern gehören neben andern die Weltbank, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) oder das US-Pionierkorps.

Das Thema Wasser ist sehr vielfältig. Vor allem aber ist es auch drängend, denn in vielen Teilen der Welt wird Wasser immer knapper. Vielfältig waren denn auch die in Istanbul präsentierten Ideen zur effizienten Nutzung von Wasser – von der vielbewunderten, mit Pressluft unterstützten Dusche aus der Schweiz bis hin zu einem koreanischen System, das den Wasserverbrauch in Wohnblocks mit Hilfe des Internets überwacht.

Kritik teils unerwünscht

Kein Mangel herrschte in Istanbul an grossen Worten. Staatspräsident Gül wies darauf hin, dass Wasser auch Kultur sei. Und in Pressemitteilungen des Forums hiess es, das WWF würde Unterschiede zwischen Menschen und Nationen «überbrücken». Ausserdem wurde darin vollmundig angekündigt: «Niemand ist ausgeschlossen».

Das galt jedoch für Kritiker türkischer Staudammprojekte nur mit Einschränkungen. Ausserhalb der Konferenz zeigte die Polizei mit Wasserwerfern eine besondere Art der Verwendung dieses Gutes. Beamte in Uniform und in Zivil halfen mit grossen Holzstöcken dann noch nach.

Auch innerhalb der Veranstaltung wurde Kritik behindert und unterdrückt. Nach Angaben der Umweltgruppe «Eca Watch Österreich» verzichtete die Unesco, die UNO-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur, wegen Drucks der Gastgeber auf eine Präsentation zur Auswirkung von Staudammprojekten auf Kulturgüter. Allerdings konnten die Kritiker selbst eine Veranstaltung auf dem Forum durchführen. «ECA-Watch» ist eine weltweit agierende Plattform, die sich gegen die Förderung von verantwortungslosen Exportprojekten richtet.

Im Mittelpunkt der Kritik in Istanbul stand die vorgesehene Überflutung des historischen Städtchens Hasankeyf durch den geplanten Ilisu-Staudamm am Tigris. Nachdem sich die Türkei nicht an Auflagen zur Umsiedlung der Bewohner gehalten hat, stehen Exportrisikogarantien aus Deutschland, der Schweiz und Österreich auf der Kippe.

Mehr Investitionen gefordert

Die Wasserwirtschaft steht generell vor grossen Herausforderungen. Während die Versorgung mit sauberem Trinkwasser weltweit noch immer ein Problem ist, bringt ein sich abzeichnender Klimawandel neue Schwierigkeiten für Regionen, die bisher genug Wasser hatten. Dazu gehört Südeuropa und gehört insbesondere auch das Gastgeberland Türkei. Mehrere Dürrejahre haben Seen und Flüsse austrocknen lassen. Die Getreideproduktion ist zurückgegangen. Letzten Sommer war selbst die Trinkwasserversorgung der grössten Städte Istanbul, Ankara und Izmir akut gefährdet. Starke Regenfälle in diesem Winter bedeuten für die Türkei für dieses Jahr allerdings Entwarnung.

Experten rieten am Forum zu verstärkten Investitionen in die Wasserwirtschaft. Angel Gurria, Generalsekretär der OECD, sieht hierin auch eine Möglichkeit, die Wirtschaftskrise zu überwinden. Investitionen in die Wasserwirtschaft könnten so eine «doppelte Dividende» bringen. Experten priesen solche Investitionen auch als besonders krisensicher.

Versorgung wieder an Gemeinde

Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO) machten aber geltend, Investitionen grosser Konzerne in die Wasserwirtschaft hätten in den letzten Jahren vielerorts die Lage eher verschlechtert. Die Preise für Trinkwasser seien gestiegen, die Kosten für neue Wasseranschlüsse hätten von der ärmeren Bevölkerung oft nicht aufgebracht werden können. Die Verbesserung der Versorgungsnetze sei ausgeblieben. Als Antwort darauf schlagen NGO eine «Rekommunalisierung» der Wasserversorgung vor – die Verantwortung dafür wird wieder den Gemeinden überlassen. Dieser Prozess ist in einigen Ländern bereits im Gang. Dazu gehört auch Frankreich, einst ein Vorreiter bei der Entstaatlichung der Wasserwirtschaft. Städte wie Grenoble und Cherbourg betreiben ihre Wasserversorgung bereits wieder kommunal. Jan Keetman, Istanbul