NZZ Online, 19.12.2008

Weitere Bewohner nahe des Ilisu-Staudamms enteignet

Eiliger Beschluss der türkischen Regierung – mehr als 20 Dörfer betroffen

Die türkische Regierung hat für den Bau des international umstrittenen Ilisu-Staudamms im Südosten Anatoliens weitere Enteignungen beschlossen.

(sda/dpa) Das Kabinett habe für eine eilige Nationalisierung von Flächen gestimmt, berichtete die türkische Tageszeitung «Milliyet» am Freitag. Der entsprechende Beschluss war bereits am Vortag im türkischen Amtsblatt veröffentlicht worden. Demnach sind mehr als 20 Dörfer betroffen, die entlang einer Strecke von der Stadt Midyat nach Ilisu am Tigris liegen.
Frage der Zulässigkeit

Gegner des Staudammprojektes kritisieren die türkische Entscheidung als weiteren Verstoss gegen Auflagen, die für eine Finanzierung des Projektes gemacht wurden. Die Enteignungen seien demnach nicht zulässig.

Nach Ablauf einer Frist, in der die Türkei Auflagen bei Umweltschutz, Umsiedlungen und Kulturgütern hätte umsetzen müssen, prüfen die Exportkreditagenturen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz derzeit ihre weitere Vorgehensweise. Zuletzt hatte sich die österreichische Regierung skeptisch über das Milliardenprojekt geäussert.

Wegen Verstosses der Türkei gegen Umweltauflagen hatten die drei Länder, die zusammen Kredite über mehr als 450 Millionen Euro mit Exportgarantien absichern, Anfang Oktober einen «blauen Brief» an die türkische Regierung geschickt.
Stausee von enormer Grösse

Umweltschützer und Archäologen protestieren seit langem gegen den gewaltigen Staudamm im Südosten der Türkei, der 2012 fertig sein soll. Der Stausee, der mit mehr als 300 Quadratkilometern Fläche der zweitgrösste der Türkei wäre, bedroht die archäologisch bedeutende Stadt Hasankeyf.

Die Fertigstellung der 1820 Meter langen und 135 Meter hohen Staumauer und des 1200-Megawatt-Kraftwerks hängt von internationalen Garantien ab. Die türkische Regierung verspricht sich neben der Energiegewinnung eine Entwicklung der Landwirtschaft durch Bewässerung.