Süddeutsche Zeitung, 13.11.2008

Rettungsaktion für Staudamm

Schweiz hält an umstrittenem Projekt in der Türkei fest

Von Kai Strittmatter

Istanbul – Es ist Halbzeit im Endspiel um das umstrittene Ilisu-Staudamm-Projekt im Südosten der Türkei. In 30 Tagen läuft das zweimonatige Ultimatum ab, das Deutschland, die Schweiz und Österreich der Türkei gestellt haben, weil Ankara Auflagen für das gemeinsame Projekt gebrochen hat. Dass die europäischen Exportkreditversicherer der Türkei einen blauen Brief geschickt haben, war ein beispielloser Schritt; Umwelt- und Bürgerrechtsorganisationen feierten ihn als den „Einstieg in den Ausstieg“ aus Ilisu.
Offenbar betrachten die Partner das Projekt jedoch noch lange nicht als gescheitert. Hinter den Kulissen bemühen sich die beteiligten Regierungen, Banken und Baufirmen gemeinsam mit Ankara hektisch darum, „die Defizite zu beheben“, wie es in einem Brief der beteiligten Bank Austria heißt. Jüngster Hinweis darauf ist der Ankara-Besuch des Schweizer Bundespräsidenten Pascal Couchepin. Er versicherte Premier Tayyib Erdogan, man wolle den Staudammbau weiterhin betreiben, wenn die Türkei sich an die Auflagen halte.
Deutsche, Schweizer und österreichische Baufirmen wollen den Damm bauen, die Regierungen der drei Länder haben sich 2007 entschieden, den Bau mit Exportkreditgarantien zu unterstützen – allerdings machte man der Türkei 150 detaillierte Auflagen. „Wenn die drei Staaten sich jetzt wieder auf einen faulen Kompromiss einlassen, dann ist da absurd“, sagt Ulrich Eichelmann von der dammkritischen Organisation ECA-Watch. Die Frage ist vor allem, ob es der Türkei mögliche ist, in der Frist von 60 Tagen das nachzuholen, was sie zwei Jahre versäumt hat. „Es ist schwierig“, sagt Sonja Kohler, Sprecherin der Schweizer Exportrisikoversicherung, „aber wir sind überzeugt, dass es möglich ist“ – eine Überzeugung, die das Lager der Kritiker nicht teilt. Man müsse nur die Expertenberichte lesen, sagt Christine Eberlein von der Erklärung von Bern: „Technisch ist das unmöglich. Punkt.“
Eine internationale Expertenkommission hatte zweimal hintereinander festgestellt, dass die Türkei fast keine der Auflagen erfüllt hat. Deshalb wurde am 7. Oktober der blaue Brief losgeschickt. Das deutsche Entwicklungshilfe-Ministerium sprach damals in deutlichen Worten von einer „Notbremse“, die notwendig sei, „da der türkische Bauherr die Menschen, die Umwelt und die Kulturgüter in der betroffenen Region gefährdet“.
Dem geplanten Damm soll die 10000 Jahre alte Felsenstadt Hasankeyf zum Opfer fallen, mehr als 60000 Menschen werden umgesiedelt. Premier Erdogan sagte Mitte Oktober zur Empörung der türkischen Dammgegner, es seien PKK-Terroristen „und ihre Sympathisanten“, die den Damm nicht wollten. Der Kampf um den Damm sein ein „Kampf um die Zivilisation“.