Handelsblatt, 17.10.2008

Gefährdete Bauvorhaben

Infrastruktur-Projekte geraten ins Stocken

Die globale Finanzkrise stoppt auf der ganzen Welt große Infrastruktur-Projekte - oder bremst sie zumindest. Banken ziehen Finanzierungszusagen zurück und auch andere Investoren sind vorsichtig. Davon scheinen insbesondere Asien und Osteuropa betroffen. Doch es sind keineswegs nur Schwellenländer, in denen die Kreditklemme Großprojekte gefährdet.

dih/gho/mbr/tom LONDON/BERLIN/MOSKAU. Regierungen, die derzeit auf Sparkurs einschwenken, verstärken das Stocken von Infrastruktur-Vorhaben. Staaten, die in den vergangenen Jahren vom Rohstoffboom profitiert haben, nutzen jetzt hingegen Investitionen in diesem Bereich, um negative außenwirtschaftliche Einflüsse auszugleichen.

Haruhiko Kuroda, Präsident der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB), sagte im Handelsblatt-Interview, dass die globale Finanzkrise die Finanzierung wichtiger Infrastruktur-Großprojekte in Frage stelle. "Nicht mehr alle Projekte können finanziert werden, einige werden vertagt, andere bereits abgeschrieben", sagt er. Asiatische Regierungen und Konzerne suchten verstärkt bei Förderbanken um Finanzierungen nach, weil sie an den Kapitalmärkten nicht mehr genügend Mittel bekämen. Um den steigenden Finanzbedarf decken zu können, brauche die ADB in Kürze eine Kapitalerhöhung.

Auch die Osteuropabank (EBRD) registriert eine verstärkte Nachfrage nach Finanzierungen. Einige große Infrastrukturprojekte hängen in der Schwebe, weil private Banken mit der Unterschrift zögerten, sagte EBRD-Ökonom Zbigniew Kominek. Die Banken bemühten sich, ihre Kreditvergabe einzuschränken. "Wenn sie nicht einmal ihre Stammkunden im gewohnten Ausmaß unterstützen, dann ist es unwahrscheinlich, dass sie einzelne Projekte finanzieren werden", sagte er. Außerdem wollten sie sich ungern langfristig binden. Die Situation sei im Fluss, doch wenn sich das Verhalten der Banken nicht ändere, dann müssten Entwicklungsbanken und Regierungen die Finanzierungslücken füllen, sagte Kominek voraus.

"Man kriegt kaum noch Konsortien für große syndizierte Kredite zusammen", bestätigte ein Vertreter einer westlichen Großbank in Baku, der Hauptstadt des Ölstaats Aserbaidschan. "Die Banken haben andere Sorgen, als Geld in Risikoländer zu bringen." Dabei sei Aserbaidschan dank seiner Öleinnahmen und eines erwarteten Wirtschaftswachstums von 16 Prozent kein Krisenland. Ein prominentes Opfer der Kreditklemme könnte nach Einschätzung westlicher Banker und Diplomaten die von der EU unterstützte Gaspipeline "Nabucco" sein. Sie soll unter Führung des österreichischen Energiekonzerns OMV und mit Beteiligung von RWE Gas aus dem Raum ums Kaspische Meer nach Europa transportieren.

Auch ein türkisches Großprojekt könnte der Finanzkrise zum Opfer fallen: der Ilisu-Staudamm, an dessen Finanzierung und Bau deutsche, österreichische und Schweizer Firmen beteiligt sind. Weil die Türkei die geforderten Umwelt- und Sozialauflagen ignoriert, drohen die Exportkreditagenturen der drei Länder mit einem Rückzug aus dem Projekt. Beobachter erwarten, dass das den beteiligten Banken einen willkommenen Vorwand für einen Ausstieg aus dem Projekt bieten könnte.

Doch es sind keineswegs nur Schwellenländer, in denen die Kreditklemme Großprojekte gefährdet. In London sieht sich die Regierung gezwungen, das Bauprogramm für die Olympischen Spiele 2012 immer weiter einzuschränken. Da private Geldgeber zögern, muss der Steuerzahler einen immer größeren Teil des Budgets von rund 12 Mrd. Euro schultern. "Die Kreditkrise trifft die Olympischen Spiele hart", gestand der Chairman der für die Vorbereitungen zuständigen Organisation, John Armitt, ein. Die Baufirmen, die das Olympische Dorf und das Medienzentrum bauen, kämpfen derzeit darum, eine Finanzierung zusammen zu bekommen. Die Regierung hat bereits auf einen Reservetopf zurückgegriffen, um die Bauarbeiten auf Europas größter Baustelle am Laufen zu halten.

Selbst die Vorbereitungen für die Winterspiele 2014 im russischen Sotschi sind schon betroffen. Gerade hat Präsident Dmitrij Medwedjew den als Krisenmanager bekannten Regionalminister Dmitrij Kosak zum Beauftragten für die Spiele ernannt. Der fürchtet, dass wegen der aktuellen Krise einige Investoren abspringen könnten. In Sotschi engagierte Oligarchen wie Wladimir Potanin und Oleg Deripaska haben derzeit selber Finanzierungssorgen. Die Regierung werde aber die Spiele sicherstellen, kündigte Kosak an. Einschnitte in die gewaltigen Infrastrukturvorhaben des Landes sind aber nach Einschätzung von Ökonomen unvermeidlich.

Es sind nicht nur Rückzieher der Banken oder privater Investoren, die Infrastrukturprojekte bremsen, auch manchen Regierungen geht das Geld aus. Irland strich im Staatshaushalt für 2009 das Geld für eine Reihe von Straßenbau- und Nahverkehrsprojekten. Eigentlich wollte das Land seine Infrastruktur mit einem Riesen-Investitionsprogramm auf Vordermann bringen, doch nun haben Finanzkrise und Rezession das Defizit in die Höhe schnellen lassen.

Genug Geld gibt es dafür in rohstoffreichen Ländern, die in den vergangenen Jahren ihre Kassen gefüllt haben. Brasiliens Präsident Lula da Silva sagte, er werde sein hunderte von Milliarden Dollar schweres Programm zum Bau von Kraftwerken, Straßen und Schienenwegen nicht kürzen. Auch Australien hält an einem großen Infrastruktur-Programm fest.

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