Tagblatt, 25.06.2008

Türkei missachtet Auflagen

Experten kritisieren Beteiligung von Schweizer Firmen am Damm-Projekt Ilisu

Das umstrittene Staudammprojekt Ilisu, an dem auch Schweizer Firmen mitbauen, gerät wieder in die Schlagzeilen. Die Türkei hält sich bei der Umsiedlung von 55 000 Menschen nicht an die Auflagen der Kreditagenturen.

jürg ackermann/bern

«Die aussenpolitischen Ziele bezüglich Entwicklung, Menschenrechte und Demokratie sowie Umweltaspekte haben für uns eine grosse Bedeutung.» Die ethischen Grundsätze der Schweizer Exportrisikoversicherung sprechen eine deutliche Sprache. Entwicklungsorganisationen wie die Erklärung von Bern zweifeln aber, ob die Grundsätze auch im Fall des Ilisu-Staudamms eingehalten werden.
Den Glauben verloren

Die Kritik ist happig. Die türkische Regierung halte sich an keine internationalen Standards, sagt Christine Eberlein, Programmleiterin für Finanzbeziehungen bei der Erklärung von Bern. Die 55 000 Kurden, die wegen des Staudammprojekts umgesiedelt werden, erhielten viel zu wenig Entschädigung. Viele von ihnen würden verarmen, da sie in ein karges Gebiet zügeln müssten, in dem sie keine Landwirtschaft mehr betreiben könnten. Die Kritik der Entwicklungsorganisationen wird durch unabhängige Expertenberichte gestützt. Erst vergangene Woche kam ein neuer Bericht zum Schluss, dass es noch keinerlei Zeichen gebe, dass die Türkei die bei der Umsiedlung sowie dem Umwelt- und Kulturgüterschutz vereinbarten Massnahmen adäquat umsetze. «Wir haben den Glauben daran verloren, dass das noch bis zum Baubeginn geschieht», sagt Christine Eberlein.
Brücken und Moscheen

Im Oktober soll mit dem Bau des Staudamms begonnen werden. Vor einem Jahr hatte der Bundesrat entschieden, die am Vier-Milliarden-Projekt beteiligten Schweizer Firmen mit einer Exportrisikogarantie von 225 Millionen Franken zu unterstützen. Der Löwenanteil fällt dabei auf den Energiekonzern Alstom Schweiz. Auch Deutschland und Österreich haben die Beteiligungen ihrer Firmen abgesichert. Die Exportversicherer der drei Länder schlossen sich zusammen und knüpften die Übernahme der Risiken an rund 150 Auflagen, die nicht nur die Umsiedlungen, sondern auch Umweltaspekte oder die Rettung von Monumenten wie Brücken oder Moscheen betreffen.

Bei der Schweizer Exportrisikoversicherung, die garantieren muss, dass die türkischen Partner die Vereinbarungen einhalten, gibt man sich angesichts der aktuellen Entwicklung aber wenig auskunftsfreudig. Direktor Christoph Sievers verwies auf ein dünnes Communiqué: «In den vergangenen Tagen waren Vertreter der drei in das Projekt involvierten Länder zu Gesprächen in Ankara. Die türkische Seite hat dabei weiterhin versichert, die Vereinbarungen zu Umwelt, Umsiedlung und Kulturgütern einzuhalten.»

An diese Beteuerungen glauben Organisationen wie die Erklärung von Bern aber nicht mehr. Sie wollen einen Ausstieg der Schweiz aus dem Projekt und fordern den Bundesrat zum Handeln auf. Sollte der Dialog scheitern, müssten sich die Regierungen, das heisst der Bundesrat, einschalten, da es sich um ein Geschäft von besonderer Tragweite handle, sagt Pressesprecherin Antje Baertschi beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco).
Schweizer Know-how

Die Türkei steht unter Druck: Sollten die vereinbarten Massnahmen nicht erfüllt werden, könnten die Liefer-, Kredit- und Bauverträge von den Zuliefer-Ländern wie der Schweiz jederzeit gekündigt werden. Dass die Türkei auf chinesische oder nigerianische Zulieferer ausweichen könnten, die laxere Bedingungen stellen würden, glaubt Christine Eberlein von der Erklärung von Bern nicht: «Die Türkei ist beim Bau des Staudamms auf Schweizer Know-how angewiesen.»