NZZ Online, 05.03.2008

Chinesische Turbinen statt schweizerische?

Serv-Direktor Christoph Sievers sagt in einem Interview mit NZZ Online, <http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/aktuell/sievers_interview__1.683717.html> die türkischen Behörden seien grundsätzlich willens, die Umsiedlung der Bevölkerung im Überschwemmungsgebiet auf eine ethisch vertretbare Weise durchzuführen. Es gebe aber noch Mängel bei der Information der Betroffenen. Diese sollten nicht einfach mit einer Geldentschädigung abgespeist werden. Es brauche begleitende Massnahmen, damit die Leute an einem neuen Wohnort eine neue Existenz aufbauen könnten.

Sievers unterstreicht, dass die Einwohner der Südosttürkei vor allem eines brauchten: Arbeit. Er verweist auch auf Interessen der schweizerischen Industrie am Ilisu-Projekt, etwa von Alstom. Es sei klar, dass das Stauwerk von Ilisu auf jeden Fall gebaut werde; das sei eine feste Zielsetzung der türkischen Politik. Wenn nicht schweizerische Turbinen eingesetzt würden, kämen halt chinesische zum Zug. Ob da die lokale Bevölkerung besser fahre, wäre abzuwarten.


Rückstand bei Erfüllung der Auflagen

Die Serv hat für das Wasserkraftwerkprojekt Ilisu in der Türkei Lieferungen und Ingenieurleistungen von Schweizer Unternehmen versichert. Neben ihr sind auch die staatlichen Exportkreditversicherer Österreichs und Deutschlands am Bauprojekt beteiligt. Alle drei haben die Übernahme von Exportrisiken an rund 150 Auflagen geknüpft, um sicherzustellen, dass die Weltbank-Richtlinien in den Bereichen Umsiedlungen, Umwelt- und Kulturgüterschutz eingehalten werden.

Die Einhaltung dieser Richtlinien wird von einem unabhängigen Expertenkomitee überwacht. Dieses habe festgestellt, dass die vereinbarten Massnahmen in den Bereichen Umwelt, Umsiedlungen und Kulturgüter zum Teil noch nicht umgesetzt gewesen seien, respektive die Umsetzung hinter dem vereinbarten Zeitplan zurückliege, schreibt die Serv.


Weltbank-Standard

Gleichzeitig hätten die Experten Massnahmen aufgezeigt, wie die Mängel behoben werden könnten. In den Bereichen Kulturgüter und Umwelt gehe es vor allem darum, schnellstmöglich zusätzliche Untersuchungen und Studien in die Wege zu leiten und bereits erstellte Dokumente zu ergänzen.

Bei der Umsiedlung müsse das bisherige Entschädigungsprinzip im Sinne der Weltbankstandards durch das Prinzip der Wiederherstellung der Lebensbedingungen ersetzt werden. Die Bevölkerung im Baugebiet müsse intensiver miteinbezogen werden, unterstreicht die Serv.


Verhandlungen über neuen Zeitplan

Für Planung, Koordination und Umsetzung der geforderten Massnahmen ist auf türkischer Seite eine Project Implementation Unit geschaffen worden. Darin sind Mitglieder aller beteiligten Ministerien und Behörden vertreten sowie ein Vertreter einer lokalen Nichtregierungsorganisation.

Mit diesem Gremium soll das Expertenteam bei seinen nächsten Besuchen im Projektgebiet Gespräche führen. Gemeinsam solle ein neuer Zeitplan für das Projekt festgelegt werden, schreibt die Serv. Dieser soll definieren, in welchem Zeitrahmen die von den Experten empfohlenen Massnahmen durchzuführen sind, bevor mit dem Bau am Ilisu-Staudamm begonnen werden kann.

Nach dem Bau des Ilisu-Staudamms wird unter anderem der historische Ort Hasankey überflutet, eine Ursiedlung an einem Tigris-Übergang, in einer grossartigen Landschaft gelegen. Es gibt dort Höhlenwohnungen und die Reste einer mittelalterlichen Brücke sowie wertvolle Grabmäler (Türben) aus vergangenen Jahrhunderten, die allerdings teilweise stark zerfallen sind. Die moderne Stadt Hasankeyf ist in letzter Zeit von Stillstand erfasst. In Erwartung der Überflutung wird kaum noch investiert und gebaut.


Hartnäckiger Widerstand der Erklärung von Bern

In der Schweiz ist das Ilisu-Projekt seit Jahren umstritten. Auf der einen Seite stehen schweizerische Industrie-Interessen <http://www.ilisu-wasserkraftwerk.com/page.php?setlang=deu>. Auf der andern steht eine entwicklungskritische – ursprünglich bankenkritische – Opposition, namentlich vertreten durch die Erklärung von Bern <http://www.evb.ch/ilisu>. Diese hat erst am Dienstag mit einer neuen Aktion gegen das Ilisu-Staudammprojekt mobilisiert

5. März 2008 - 17:04