NZZ Online, 05.03.2008

«Es braucht ein grosses Umdenken»

Christoph Sievers, Direktor Exportrisikoversicherung, zum Ilisu-Projekt

Christoph Sievers, Direktor der Schweizerischen
Exportrisikoversicherung, sagt im Interview mit NZZ Online,
die türkischen Behörden seien grundsätzlich willens, die
Umsiedlung der Bevölkerung im Ilisu-Projektgebiet auf eine
ethisch vertretbare Weise durchzuführen. Es brauche aber einen
langen Umdenkprozess.

NZZ Online: Wann ist Baubeginn in Ilisu?

Christoph Sievers: Ursprünglich sollte schon Anfang 2006 gebaut werden. Doch es gab Verzögerungen. Es ist nicht auszuschliessen, dass es weitere Verzögerungen gibt. Derzeit laufen Verhandlungen über neue Fristen.

Wo entstehen die Verzögerungen?

Wir haben Auflagen für vorbereitende Massnahmen gemacht, und diese sind erst teilweise umgesetzt. Das haben unsere Experten bei einer Erkundungsreise am Ort festgestellt. Es geht vor allem um Massnahmen in den Bereichen Umsiedlung und Entschädigung. Da braucht es realistische Deadlines.

Wie sind die Verzögerungen zu erklären?

Wir haben es hier mit der türkischen Wasserbaubehörde zu tun. Das ist eine grosse Institution mit über 6000 Leuten, welche nach ihrer eigenen Dammbaupraxis zu arbeiten gewohnt ist. Es braucht ein grosses Umdenken in dieser Behörde.

Ist ein solches Umdenken in Gang gekommen?

Wir haben den Eindruck, dass unsere Gesprächspartner auf der türkischen Seite guten Willens sind. Sie betonen, dass sie die Umsiedlungen auf anständige Weise durchführen wollen.


«Wenn nicht mit westlicher Technik, dann halt mit chinesischer»

Und was heisst das aus Ihrer Sicht?

Bei Enteignungen und Umsiedlungen braucht es einen geordneten Ablauf mit Rekursmöglichkeiten. Die Betroffenen brauchen umfassende Informationen, korrekte Entschädigung und allenfalls Optionen zur Neugründung ihrer Existenz.

Was ist da die Praxis?

Die türkischen Behörden geben in der Regel einfach eine Geldentschädigung. Wir haben begleitende Massnahmen vereinbart, etwa Arbeitsangebote oder Ersatzland für Kleinbauern.

Das ist komplizierter.

Ja. Es setzt vor allem voraus, dass bei der lokalen Bevölkerung ein Goodwill zur Umsiedlungspraxis vorhanden ist. Doch da herrscht Misstrauen: Die Lokalbevölkerung ist mehrheitlich kurdisch, und diese scheint generell eine andere Optik als die türkische Regierung zu haben.


«Die Bevölkerung scheint generell eine andere Optik als die
türkische Regierung zu haben.»

Wie beurteilen Sie die Aktionen der Erklärung von Bern?

Die wollen den Dammbau verhindern, aber das können sie nicht. Der Damm wird auf jeden Fall gebaut, das ist völlig klar - wenn nicht mit westlicher Technik, dann halt mit chinesischer. Ob das dann für die Lokalbevölkerung besser ist, wissen wir nicht.

Wie geht es weiter?

Unsere Experten reisen in einem Monat wieder nach Ankara. Sie werden darauf dringen, dass unsere Auflagen erfüllt werden. Wenn das im grossen Stil nicht geschieht, kann der Bau verzögert oder die Deckung für das Projekt gekündigt werden. Immerhin haben wir hier die Möglichkeit, bei einem Grossprojekt gewisse Standards durchzusetzen. Damit setzen wir auch einen Benchmark für weitere Staudammprojekte in der Türkei.

Die Fragen stellte Andres Wysling