Der Standard, 05.03.2008

Ilisu-Staudamm: Kurden verlangen Asyl im Westen

Neue Proteste gegen Staudamm am Tigris - Rund 11.000 Menschen verlieren ihre Häuser - Österreich am Bau beteiligt

"Österreicher, Schweizer und Deutsche, ihr seid reich, wir sind arm" steht auf einem Schild, das ein Demonstrant am Dienstag vor der österreichischen Botschaft in Ankara in den Himmel reckt. Andere rufen, "Hasankeyf muss bleiben, kein Staudamm am Tigris!" Es ist eine Gruppe von rund 100 Männern und Frauen, die sich aus dem Südosten der Türkei, aus Hasankeyf, der Stadt, deren Geschichte bis in die Frühzeit der Menschheit zurückreicht, nach Ankara auf den Weg gemacht haben, um gegen den drohenden Verlust ihrer Heimat zu protestieren.

Ziel der Proteste sind die Botschaften Österreichs, Deutschlands und der Schweiz, stellvertretend für deren Regierungen. Denn es geht um den Bau des sogenannten Ilisu-Staudamms am Tigris, durch den rund 11.000 Menschen ihre Häuser und ihr Land verlieren würden und der mit Geld aus den europäischen Ländern und von Firmen aus Österreich und Deutschland errichtet werden soll.

Staudamm zerstört Lebensgrundlage

Die Delegation aus Hasankeyf überreichte in den Botschaften ein Protestschreiben, in dem unter anderem angekündigt wird, dass mindestens 1500 Menschen aus der Region in Österreich oder einem der beiden anderen Länder Asyl beantragen würden, wenn sie wegen des Staudammbaus vertrieben würden. "Wir würden durch den Bau des Ilisu-Staudamms alles verlieren", heißt es in dem Schreiben als Begründung für die angekündigten Asylanträge. "Wer unsere Lebensgrundlagen und unsere historischen Wurzeln zerstört und daran verdient, soll uns aufnehmen und für unsere Zukunft sorgen."

Nutznießer Strabag

Die protestierenden Kurden weisen damit darauf hin, dass der Bau des Ilisu-Damms in privater Regie, unter anderem von dem österreichischen Baukonzern Strabag durchgeführt und mit Kreditgarantien aus Deutschland, der Schweiz und Österreich abgesichert wird. Die Baufirmen werden den Damm beziehungsweise die darin enthalten Wasserkraftwerke so lange betreiben, bis sie über den Verkauf des Stroms ihre Kosten und einen angestrebten Profit erwirtschaftet haben. Danach geht der Damm dann in den Besitz des türkischen Staates über.(Jürgen Gottschlich, DER STANDARD Printausgabe, 5.3.2008)