junge Welt, 05.03.2008

Ein Staudamm als Zerstörungswerk

Kurdische Bauern fordern Asyl wegen Ilisu-Projektes auf ihrem Grund und Boden

Von Nick Brauns

Eintausendfünfhundert Bewohner des Tigris-Tals im kurdischen Südosten der Türkei wollen Asyl in Deutschland, Österreich und der Schweiz beantragen, wenn ihre Dörfer durch den Bau des Ilisu-Großstaudamms überschwemmt werden. Eine Delegation von 100 Dorfbewohnern übergab am Dienstag in Ankara entsprechende Schreiben an die Botschaften dieser Länder, die im vergangenen Jahr Exportbürgschaften für die Finanzierung des Staudammbaus bewilligt hatten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel, der österreichische Kanzler Alfred Gusenbauer und die Schweizer Bundesrätin Doris Leuthard werden aufgefordert, ihre Unterstützung für das Dammprojekt umgehend zurückzuziehen. »Wer unsere Lebensgrundlagen und unsere historischen Wurzeln zerstört und daran noch verdient, soll uns aufnehmen und für unsere Zukunft sorgen«, erklärte Frau Behiye Kepti aus dem Dorf Suceken nahe der ebenfalls von der Überflutung bedrohten historischen Stadt Hasankeyf. Statt des Staudammbaus brauche die Region die Entwicklung des Tourismus und der Landwirtschaft.

Trotz jahrelanger Proteste von Umweltschutz- und Menschenrechsorganisationen hatte die Bundesregierung eine Hermesbürgschaft in Höhe von 93,5 Millionen Euro für den am internationalen Ilisu-Konsortium unter Führung des österreichischen Anlagenbauers Andritz beteiligten Stuttgarter Baukonzern Ed. Züblin bewilligt.

Der Ilisu-Staudamm ist das Herzstück des aus 22 Dämmen an Euphrat und Tigris bestehenden Südostanato­lienprojektes GAP, das vor allem der politischen Kontrolle über die nach Autonomie strebenden kurdischen Landesteile dient. Durch sozioökonomische Umwälzungen und Dorfzerstörungen soll der kurdischen Befreiungsbewegung die Grundlage entzogen werden. Rund 55000 Menschen aus 95 Dörfern und der Kleinstadt Hasankeyf müßten zwangsumgesiedelt werden, wenn ihre Dörfer oder ihr Ackerland in den Fluten des 300 Quadratkilometer großen Stausees untergehen.

Erste Enteignungen an der Dammbaustelle hätten gezeigt, daß die türkische Wasserbaubehörde DSI die Auflagen der europäischen Regierungen ignoriere, kritisiert die deutsche Entwicklungshilfsorganisation WEED. Es fehle an fruchtbarem Neuland für die Vertriebenen. So bleibt den Betroffenen die Perspektivlosigkeit in den Slums umliegender Großstädte wie Diyarbakir oder Batman oder die Flucht nach Europa.