www.glocalist.com, 03.04.2007

Ilisustaudamm

Wien/Berlin/Ankara (2.4.07): Zustimmung der Exportkreditgarantien für den Ilisudamm (Türkei), NGOs befürchten verheerende soziale, ökologische und kulturelle Folgen. Die OeKB will diese Bedenken zerstreuen und setzt 150 Auflagen.

Die Regierungen aus Deutschland und Österreich haben am Nachmittag des 26. März 2007 bekannt gegeben, dass sie nun endgültig der Hermesbürgschaft für den Bau des Ilisudamms in den kurdisch besiedelten Gebieten der Türkei zugestimmt haben. Ohne die Exportkreditgarantien wäre die Realisierung des Staudamms unwahrscheinlich.

Folgen des Ilisudamms werden massive ökologische Zerstörungen in der Regionsein. Dazu gehören ein massives Fischsterben, die Vernichtung von Flussauen und Habitaten für seltene Tier- und Pflanzenarten, Sedimentierung und Eutrophierung, so der WWF.

Auch für die Menschen in der Region und flussabwärts bis in den Irak und Syrien sind gravierende direkte und indirekte Auswirkungen zu erwarten. So wird es zur Vertreibung von 50 000 bis 80 000 AnwohnerInnen mit völlig mangelhaften Umsiedlungs- und Entschädigungsplänen kommen. Des weiteren werden aufgrund einer starken Verschlechterung der Wasserqualität Krankheiten wie Malaria zunahmen. Auch der Wasserkonflikt in Nahost wird sich verschärfen.

Ferner wird mit der Stadt Hasankeyf ein zentrales Kulturgut für immer verloren sein. Die Pläne der Regierung die wichtigsten Kulturgüter in ein anderes Gebiet zu transportieren halten Experten der NGOs für nicht umsetzbar.

NGOs aus Europa und den betroffenen Gebieten kritisieren die Pläne des Staudammbaus aufs Schärfste.

„Die Bundesregierung opfert Menschen, Kultur und Umwelt, um einigen Unternehmen Gewinne zu ermöglichen", urteilt Heike Drillisch von der Umwelt- und Entwicklungsorganisation WEED. "Die Pro-Ilisu-Entscheidung ist eine Schande für Deutschland." Nach wie vor wurden die betroffene Bevölkerung und die gewählten Repräsentanten der umliegenden Gemeinden nicht angemessen in die Planung einbezogen. Nach Umfragen sind rund 80 % der Bevölkerung gegen das Projekt. "Mit der Entscheidung beugt die Bundesregierung sich offensichtlich dem Druck, den die türkische Regierung aufgebaut hat, statt auf die Einhaltung internationaler Standards zu achten", so Drillisch.

"Die Vergabe der Hermesbürgschaft für den Ilisu-Staudamm ist mehr als eine Enttäuschung für uns betroffene Menschen. Durch ihr doppelzüngiges Verhalten verliert die deutsche Regierung in unseren Augen jede Glaubwürdigkeit", erklärt Ercan Ayboga von der örtlichen Initiative zur Rettung von Hasankeyf. Die Bundesregierung beteilige sich an einem sehr großen Verbrechen gegen die Kultur und Umwelt und trage dazu bei, dass die Menschenrechte von zehntausenden Menschen verletzt werden. "Der Ilisu-Staudamm ist von Grund auf ein so zerstörerisches Projekt, dass es nicht mit irgendwelchen Auflagen verbessert werden kann. Daher muss es gestoppt werden", so Ayboga.

Regine Richter von der Umwelt- und Menschenrechtsorganisation urgewald kommentiert: "Mit dieser Entscheidung nimmt die Bundesregierung irreversible Schäden für die Biodiversität und die Zerstörung von Lebensraum vieler Vögel wissentlich in Kauf. Bisher liegt keine vollständige Umweltverträglichkeitsprüfung für das Projekt vor. Ein derartiges Verfahren wäre bei keinem europäischen Projekt denkbar."

Es ist auch keine Übereinstimmung des Projekts mit türkischen Gesetzen vorhanden, da in der Türkei noch etliche Gerichtsverfahren anhängig sind, wodurch die Bundesregierung den eigenen Kriterien für die Vergabe von Exportkreditgarantien widerspricht.

Am 23.März hat die Initiative zur Rettung Hasakeyfs unter Beteiligung internationaler Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten sowie europäischen und deutschen Parlamentariern einen "Park der Hoffnung und Solidarität" in der betroffenen Region eröffnet.

Wie umstritten das Projekt in der Region ist, zeigt auch die kürzlich erfolgte Meldung, dass die türkische Regierung die Entsendung von 5.000 Soldaten ins Projektgebiet plant, um die Sicherheit zu gewährleisten. "Unser Widerstand wird auf jeden Fall weitergehen. Die deutsche Regierung wird laufend mit diesem verantwortungslosen Beschluss konfrontiert werden", kündigen die Organisationen an. Sie prüfen rechtliche Schritte gegen die Entscheidung der Bundesregierung.

Die OeKB (Oesterreichische Kontrollbank) hält dem entgegen:

"Um Weltbankstandards sicherzustellen, hat die OeKB mit den beiden anderen involvierten Exportkreditagenturen (ECAs) Euler-Hermes (Deutschland) und SERV (Schweiz) insgesamt rund 150 Auflagen zu den Themen Umwelt, Umsiedlungen, Kulturgüter und Anrainerstaaten erteilt, die von den Projekt-Betreibern erfüllt werden müssen.", so die OeKB

Die endgültige Haftungsübernahme durch die Republik Österreich erfordert, dass die erteilten Auflagen strikt eingehalten werden. Dies wird ein unabhängiges Expertenkomitee überwachen. Sollte eine der vereinbarten Auflagen nicht erfüllt werden, haben die Exportkreditagenturen das Recht, die Kredite fällig zu stellen.

Das zum überwiegenden Teil von türkischer Seite finanzierte Wasserkraftwerk am Unterlauf des Tigris hat während der Projektprüfung durch klare Vorgaben der Exportkreditagenturen, Recherchen und Dialogprozesse vor Ort und kritischen Input von NGOs das für internationale Projekte erforderliche Niveau erreicht. Grundlage für die Prüfung waren jene internationalen Standards für die Erstellung von Umweltgutachten, Wasserrechte und Anrainerstaaten, Umsiedlungen, etc., die innerhalb der OECD für staatliche Exporthaftungen gelten.

Die Umsetzung des Projektes wird von einem unabhängigen Experten-Komitee überwacht, dessen Zusammensetzung maßgeblich von den Exportkreditagenturen bestimmt wurde. Das Komitee setzt sich aus erfahrenen, internationalen und nationalen Experten zusammen, die eine professionelle und unabhängige Begleitung und Überwachung der Umsetzung der flankierenden Maßnahmen gewährleisten sollen. Soweit nötig werden sie im Projektablauf Korrekturen und Nachbesserungen durchsetzen. Mit dem ehemaligen Weltbank-Mitarbeiter Prof. Dr. Michael M. Cernea ist auch jener weltweit führende Umsiedlungs-Experte vertreten, der Anfang 2006 im Auftrag von Nichtregierungsorganisationen ein kritisches Gutachten mit einer Reihe von konkreten Verbesserungsvorschlägen zum Projekt Ilisu verfasst hatte. Beschwerden von vom Bau betroffenen Menschen werden in einem eigenen Prozess behandelt und auch in das Monitoring einfließen.

Nach den Final Commitments in Österreich und Deutschland wird für die nächsten Tage auch eine Entscheidung des Schweizer Bundesrates erwartet. Sobald die Final Commitments aller drei involvierten Länder vorliegen, werden die vereinbarten Auflagen und die Mitglieder des Expertenkomitees auf der Webseite des Exporteurs-Konsortiums www.ilisu-wasserkraftwerk.com veröffentlicht. Dort sind bereits umfassende Informationen zum Projekt verfügbar.

Die wesentlichsten Maßnahmen, die der türkische Bauherr DSI erfüllen muss sind:

Ökologie- Konstruktion und erfolgreicher Betrieb von Kläranlagen in den großen Städten Diyarbakir, Siirt und Batman, Einführung von modernen Bewässerungs- und Düngetechniken zur Verbesserung der Wasserqualität im Stausee und im Fluss Tigris, Kontinuierlicher Mindestwasserdurchfluss im Tigris zum Schutz von Fauna, Flora und Anrainern in der Türkei und in den Nachbarstaaten, Schaffung von neuen geschützten Lebensräumen für betroffene Tiere wie z.B. Laichgründe für Fische, Nistplätze für Vögel, Gesundheitsprogramme und Aufklärungsaktionen zur Vorbeugung von HIV/AIDS oder Malaria

Umsiedlungen- Konkrete Maßnahmenpläne für die betroffene Bevölkerung und ebenso für die Gastbevölkerung in den neuen Siedlungsgebieten, Möglichkeiten zur Verbesserung der Lebenssituation für alle betroffenen Bevölkerungsgruppen, Verbesserte Infrastruktur für die gesamte Region, Gemeinsame Planung von neuen landwirtschaftlichen Projekten, Beschäftigung der betroffenen Menschen beim Kraftwerksbau und -betrieb, Schulung- und Trainingsprogramme, Konzept für Veröffentlichung von Informationen und Zusammenarbeit mit der Bevölkerung

Kulturgüter- Ausgedehnte Untersuchung des gesamten Projektgebiets in einer noch nie da gewesenen Breite, Ausgrabungen und Dokumentation von allen relevanten Kulturfunden, Ethnographische Dokumentation der Dörfer und Einwohner, Bau eines Museums, eines Kultur- und eines Architekturparks in der Region

Anrainerstaaten- Umfassende Projektinformation an die offiziellen Vertreter von Syrien und Irak und die Einladung zum weiteren Austausch von Informationen auch während der Projektlaufzeit.

So die OeKB.


Autor: Redaktion Glocalist (redaktion@glocalist.com)