Schaffhauser Nachrichten, 29.03.2007

Bundesrat sieht Ilisu-Auflagen erfüllt

Die Exportrisikogarantie für das Ilisu-Staudammprojekt in der Türkei steht: Die Regierung sichert vier Firmen 225 Millionen Franken zu.

Bern Der Bundesrat erachtet die internationalen Auflagen für den Ilisu-Staudamm im Südosten der Türkei als erfüllt. Er sagt deshalb den vier Schweizer Firmen Alstom, Colenco, Maggia und Stucky eine Exportrisikogarantie von 225 Millionen Franken für das Projekt zu. Die Firmen erhielten die Zusage, weil die anwendbaren Weltbank-Richtlinien von der Bauherrschaft eingehalten würden, teilte das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement (EVD) mit. Das Staudammprojekt sei positiv für den Wirtschaftsstandort Schweiz und die Türkei.

Auch andere Länder machen mit

Insgesamt haben laut EVD die staatlichen Exportkreditversicherer von Österreich, Deutschland und der Schweiz 150 Auflagen in den Bereichen Umwelt, Umsiedlungen, Kulturgüter und Anrainerstaaten vereinbart. Österreich und Deutschland haben ihren Exporteuren ebenfalls definitive Versicherungen ausgestellt. Ein am Projekt mitwirkendes unabhängiges Expertenkomitee hat bestätigt, dass die vor der Erteilung der endgültigen Versicherung zu verwirklichenden 23 Massnahmen zufriedenstellend erfüllt sind. Auch deren strikte Umsetzung in der Bauphase wird von einem internationalen Expertenkomitee überwacht.
Sollte eine der vereinbarten Auflagen nicht erfüllt werden, haben die drei Exportrisikoagenturen Krediteingriffsrechte. Das Expertenkomitee kann im Projektablauf Korrekturen und Nachbesserungen durchsetzen. Ihm gehört auch ein kritischer Umsiedlungsexperte an.

Restwasser im Tigris

Der türkische Bauherr DSI muss unter anderem Kläranlagen in den vorgelagerten Städten Diyarbakir, Siirt und Batman bauen und betreiben. Er hat zum Schutz von Fauna, Flora und Anrainern in der Türkei und in den Nachbarstaaten einen kontinuierlichen Mindestwasserdurchfluss im Tigris sicherzustellen.
Für die Bevölkerung, die umgesiedelt wird, sind konkrete Massnahmenpläne vorgesehen. Es müssen neue landwirtschaftliche Projekte geplant werden und Arbeitsplätze beim Kraftwerksbau und -betrieb angeboten werden. Vorgesehen ist der Bau eines Museums, eines Kultur- und eines Architekturparks in der Region.
Anfang August 2006 hatte die türkische Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan das Startsignal für den Bau der 1820 Meter langen und 135 Meter hohen Staumauer gegeben. Der Ilisu-Stausee am Tigris nahe der Grenze zu Syrien und Irak wird über 300 Quadratkilometer überschwemmen.

Kritischer Appell

Mit dem Bau müssen Zehntausende Menschen umgesiedelt werden. Die archäologisch bedeutende Stadt Hasankeyf wird überschwemmt. In der Schweiz haben entwicklungspolitische Organisationen mehrmals an den Bundesrat appelliert, für Ilisu keine Exportrisikogarantie zu gewähren

Reaktionen «Mehr Verlust als Wohltat»

Bern 300 Quadratkilometer werden durch den Ilisu-Stausee am Tigris überschwemmt, Zehntausende müssen umgesiedelt werden. Hasankeyf ist die einzige erhaltene Stadt aus der Antike. Sie wird durch den geplanten Stausee überflutet. Wissentlich würden jahrtausendealte Kultur und Flussauen einer kurzfristigen Profitgier geopfert, kritisiert die lokale Initiative zur Rettung von Hasankeyf gemäss einer Mitteilung der «Erklärung von Bern» (EvB) von gestern. 50 000 Menschen verlieren laut EvB ihre Heimat und ihre Kulturgüter.
«Für uns ist der Staudamm mehr ein Verlust als eine Wohltat», sagte ein Betroffener gegenüber der Sendung «10vor10» am Dienstagabend. Der Bauer Hasan Tas, der in Hasankeyf wohnt, muss seine Felder verlassen. Die neuen Felder liegen weiter oben. Doch «die guten Felder sind die am Tigris. Die anderen sind viel zu trocken», klagt Hasan Tas in der Sendung «10vor10». «Was bringt uns dann der Staudamm?», fragt er sich.
Bereits umgesiedelt wurde Sabriye Ozerden aus Batman. Schon zweieinhalb Jahre wohnt sie in einem Haus, das für die Evakuierten errichtet wurde. Auch ihr wurde viel versprochen. «Vor unserer Ankunft wurde uns Arbeit für jedes Familienoberhaupt versprochen sowie ein Spielplatz für die Kinder, Strassen, eine Schule, eine Moschee, ein kleines Spital und Geld. Von all dem haben wir nichts gesehen», sagte sie in «10vor10». «Unsere Männer verdingen sich in der Stadt als Tagelöhner.» (sda)