Salzburger Nachrichten, 13.12.2006

Wasser als Zeitbombe

Staudammprojekte drohen Syrien und den Irak in große Nöte zu stürzen. Der Regierung in Ankara geht es aber vor allem auch um regionale Hegemonie.

BIRGIT CERHAANKARA (SN). Eine drückende Stille liegt über Hasankeyf. Die einzige aus dem Mittelalter erhaltene Stadt Ostanatoliens liegt fast ganz verlassen da. Auch jetzt noch haben Bewohner dieses laut Statistik drittärmsten Orts der Türkei hier kleine Geschäfte eingerichtet, in der Hoffnung, dass Besucher (überwiegend, wie sie, Kurden) ihr mageres Einkommen ein wenig aufbessern. Viele aber haben seit Tagen nichts mehr verkauft; und die Arbeitslosigkeit in Hasankeyf liegt weit über dem südostanatolischen Durchschnitt von 50 Prozent.

Dennoch wehren sich die meisten der 3500 Bürger dieses historischen, an Kulturschätzen so reichen, einst so blühenden Orts an der Seidenstraße gegen den vom türkischen Staat geplanten Untergang. Im August hatte Premier Erdogan durch einen demonstrativen Spatenstich die Entschlossenheit der türkischen Führung demonstriert, eines der auch international heiß umstrittenen Projekte ungeachtet aller Proteste in Angriff zu nehmen: Der Ilisu-Staudamm, 110 km lang und 135 m hoch, soll den Tigris, einen der wenigen noch weit gehend unberührten Flüsse der Türkei, auf einer Breite von fast zwei Kilometern aufstauen.Staudamm soll Wohlstand sichern Der dadurch entstehende See wäre mit einer Fläche von 313 Quadratkilometern fast so groß wie der italienische Gardasee. Der kulturhistorisch besonders wertvolle untere Teil von Hasankeyf soll mit 15 anderen Kleinstädten und 52 Dörfern in den Fluten ertrinken. Das am Staudamm geplante Kraftwerk soll eine Stromerzeugung von 3800 Gigawatt-Stunden garantieren und damit wachsenden Wohlstand der Westtürkei.

Ein Konsortium unter österreichischer Führung, mit deutscher und Schweizer Beteiligung, wartet noch auf die Entscheidung der Exportkreditagenturen der drei Länder, die Projekt-Finanzierung von 1,2 Mrd. Euro zu garantieren.

Doch der Ilisu-Staudamm stößt nicht nur unter der lokalen Bevölkerung auf - 80-prozentige - Ablehnung. Er löst große Besorgnis bei den Anrainerstaaten Syrien und Irak aus. Der Irak sei "extrem beunruhigt" über die Auswirkungen des Megadamms, stellt Wasserminister Latif Rashid fest. Das Kraftwerk werde massive Auswirkungen auf die Wasserzufuhr der Nachbarstaaten haben.

Der Ilisu-Damm ist eines der Kernstücke des "Südostanatolischen Projekts" (GAP), eines gigantisches Wasser- und Staudammprojekts, das sich über den türkischen Teil des Euphrat-Tigris-Beckens entlang der syrischen und irakischen Grenze über etwa 74.000 Quadratkilometer, das heißt: 9,7% des Staatsterritoriums, erstreckt. Durch ein Netz von 22 Staudämmen, 19 Wasserkraftwerken und rund 1000 km umfassende Kanäle will die Türkei ihre reichen Wasserressourcen voll nutzbar machen. Bis heute wurden neun Dämme und fünf Wasserkraftwerke - ungefähr die Hälfte des Gesamtprojekts - in Betrieb genommen.

Syriens Wasserversorgung aber hängt zu 80% vom Euphrat ab, jene des Iraks zu 65% von beiden Strömen. Wenn GAP in vielleicht 15 bis 20 Jahren fertig gestellt ist, könnte die Türkei den Fluss des Euphrats nach Syrien um 30 bis 60% und jenen beider Ströme in den Irak um mindestens 47% reduzieren. Bagdad warnt vor gravierenden Folgen für die Bevölkerung, die für ihre Trinkwasserversorgung und für die Landwirtschaft auf den Tigris angewiesen ist. Der Irak könnte durch die türkischen Staudammprojekte schließlich bis zu 1,3 Mill. Hektar fruchtbaren Landes - rund 40% der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche - verlieren, mit unabsehbaren ökonomischen, sozialen und ökologischen Folgen für die ohnedies schon so gequälten Menschen. Syrien prophezeit ähnliche Probleme.

Keine Konsultationen mit den Nachbarn

Bagdad und Damaskus klagen über fehlende Konsultationen im Falle des Ilisu-Projekts. Die Weltbank etwa verweigert GAP Unterstützung, solange sich Ankara nicht zum Abschluss eines Abkommens mit den Anrainerstaaten über die gemeinsame Wassernutzung bereit findet.

Beide Nachbarn sehen die Position der Türken in der Wasserfrage als wesentlichen Teil einer Strategie, durch die wie ein Damoklesschwert über ihnen drohende "Waffe Wasser" Hegemonie über die gesamte Region auszuüben. So warnte das die britische Regierung beratende "Defense Forum", dass Wasser "eine der gefährlichsten Zeitbomben der Region" sei.