Der Standard, 11.11.2006

Hainburg-Syndrom am Tigris?

Die Förderung des Ilisu-Staudammprojekts im Südosten der Türkei wäre ein Akt des "grenzenlosen Zynismus" - ein Kommentar der anderen von Ulrich Eichelmann

Das Finanzministerium wirbt dieser Tage in Zeitungsinseraten für die Arbeit österreichischer Unternehmen im Ausland. Dabei geht es um "... neue, oft besonders innovative, zukunftssichere Arbeitsplätze. Das Finanzministerium hilft dabei: durch Exporthaftung, ..."

Eines dieser innovativen, zukunftsorientierten Projekte könnte aus Sicht des Finanzministeriums der geplante Ilisu-Staudamm am Tigris im Südosten der Türkei sein. Finanzminister Karl-Heinz Grasser sowie Rudolf Scholten, Chef der Österreichischen Kontrollbank und ehemaliger Kulturminister, wollen in Kürze entscheiden, ob Österreich dieses Projekt fördert. Es geht dabei um einen 230 Mio. Euro Auftrag an die Andritz AG, die sich davon immerhin 300 innovative und zukunftssichere Arbeitsplätze in Österreich und Deutschland für etwa sieben Jahre erhofft.

Seit Jahren laufen NGOs und wissenschaftliche Experten Sturm gegen das Projekt. Die Weltbank ist inzwischen wegen zu großer Bedenken ebenso ausgestiegen, wie die Schweizer UBS Bank sowie britische, schwedische und italienische Baufirmen. Nicht so Österreich und die VA Tech Hydro, jetzt Teil des Andritz- Konzerns.

Ich arbeite seit mehr als 16 Jahren für den Schutz von Flüssen und habe dabei häufig genug mit Wasserkraftwerken zu tun. Ilisu übersteigt aber fast alles, was bisher da gewesen ist: Der Stausee soll 130 Kilometer lang und bis zu 130 Meter tief werden. Um den begehrten Spitzenstrom zu erzeugen, würde eine bis zu 7 Meter hohe Flutwelle Richtung Syrien und Irak abgelassen. Über 50.000 Menschen verlören ihre Lebensgrundlagen, bis zu 10.000 Jahre alte archäologische Stätten von menschheitsgeschichtlicher Bedeutung sollen in den Fluten versinken, die Wasserqualität würde dramatisch sinken, Arten verschwinden.

Doch fast noch erschreckender als diese Zahlen ist die Vorgangsweise der österreichischen Regierungsstellen. Beispiel Prüfung der Umweltverträglichkeit: Nach Aussagen von Finanzministerium und Kontrollbank muss ein Projekt einen Umweltverträglichkeitstest bestehen, der internationalen Standards genügt. Klingt gut. In der Realität sieht das so aus: Das Baukonsortium mit der VA Tech an der Spitze beauftragt die "Ilisiu Environment Group" mit der Überprüfung der Umweltauswirkungen. Die legt im Juli 2005 ihren Report vor, mit dem Ergebnis, das Projekt sei umweltverträglich, es führe sogar zu Verbesserungen. Vorgabe erfüllt, abgehakt, sagt das Finanzministerium.

Rückfall in die 80er?

Schaut man sich die Sache genauer an, ergibt sich aber folgendes Bild: Hinter der Bezeichnung "Ilisu Environment Group" verbergen sich keine Umweltfachleute, sondern Kraftwerksfirmen, wie die kanadische "Hydro-Quebec International Inc." und die Schweizer "Hydro Concept Engineering". Von Unabhängigkeit also keine Spur und schon gar nicht von fachlicher Umweltexpertise.

Nun haben verschiedene Experten den Umweltreport der"Ilisu Environment Group" unter die Lupe genommen, darunter eine der renommiertesten Technischen Hochschulen Europas, die ETH aus Zürich. Ihr Urteil fällt selten klar und vernichtend aus: unvollständig, widersprüchlich, vage, das Projekt ist nicht umweltverträglich. "Diese so genannte Umweltverträglichkeitsstudie würde in Europa niemals als Entscheidungsgrundlage akzeptiert," so Prof. Dr. Bernhard Wehrli von der ETH. Im Klartext: Der Umweltreport wurde von abhängigen Firmen ohne jegliche Umweltkompetenz unter einer irreführenden Bezeichnung in einer Qualität erstellt, die jeglicher Beschreibung spottet. Hier wurde getrickst und getäuscht. Trotzdem will der Finanzminister den Umweltreport offensichtlich akzeptieren, genauso wie Umweltminister Pröll! Ein Rückfall in die Vor-Hainburg-Zeit der frühen 1980er Jahre.

Die Liste der Versäumnisse und Missinformationen ließe sich fast beliebig fortsetzen. Die Menschen vor Ort sind nicht dafür, sondern zu die 80 Prozent gegen den Staudamm. Die archäologische Katastrophe stände der ökologischen kaum nach und entgegen bisherigen Behauptungen wurde der Irak nicht konsultiert, obwohl ihnen die Türkei mit Ilisu schlicht das Wasser abdrehen könnte - ein weiterer Verstoß gegen völkerrechtliche Bestimmungen und Weltbankstandards.

Genau wie bei Hainburg vor 22 Jahren geht es bei Ilisu auch um die Glaubwürdigkeit der österreichischen Politik. Es darf nicht sein, das Österreich im Ausland das erlaubt, was bei uns verboten ist. Und wie will die Regierung glaubhaft die Anpassung der Türkei an EU-Standards fordern, wenn sie gleichzeitig mit einem derartigen Projekt genau den gegenteiligen Trend forciert? Ein fast unerträglicher Zynismus. Und das alles für angeblich innovative, zukunftsorientierte Arbeitsplätze im Umweltmusterland Österreich. Herr Minister Grasser, verwehren Sie die Exporthaftung! (DER STANDARD, Printausgabe, 11./12.11.2006)