Der Standard, 30.10.2006

Irak kritisiert türkisches Staudammprojekt

Irak "extrem beunruhigt" über Pläne am Tigris - Österreichische Firma federführend - NGOs fordern Einschreiten von Finanzminister Grasser

Wie derStandard.at/Investor bereits berichtete, soll im Osten der Türkei einer der größten Staudämme des Landes errichtet werden. Federführend soll das Milliarden-Projekt vom österreichischen Industriekonzern Andritz geleitet werden. Der Staudamm wird jedoch wegen seiner ökologischen, sozialen und kulturellen Auswirkungen international kritisiert, Andritz hat bislang die Vorwürfe und Bedenken der Denkmalschützer ebenso wie jene von Menschenrechts- und Umweltaktivisten zurückgewiesen. Ob die Oesterreichische Kontrollbank (OeKB) eine Exporthaftung für das umstrittene Bauvorhaben übernehmen wird, ist noch offen.

Wien - Nur wenige Wochen bevor Finanzminister Karl-Heinz Grasser über eine 300 Millionen schwere Exporthaftung entscheiden wird, meldet sich nun auch die Irakische Regierung zu Wort. In einem derStandard.at/Politik vorliegenden Schreiben des irakischen Wasserministers Latif J. Rashid, das am Freitag auch an die Österreichische Kontrollbank AG übermittelt wurde, zeigt sich die irakische Regierung "extrem beunruhigt" über die Auswirkungen des Megadamms. So betont der Minister, dass das Kraftwerk massive Auswirkungen auf die Wasserzufuhr der Nachbarstaaten Syrien und Irak haben werde. Der Irak sei aber in Sachen Ilisu-Staudamm von der Türkei nicht konsultiert worden, es gab ihm zufolge zwischen keine bilateralen Verhandlungen über die Wassernutzung des Tigris.

Exporthaftung

Nicht nur vom österreichischen Bundesministerium für Finanzen waren jedoch sowohl die Nicht-Schädigung der Anrainerstaaten als auch die Konsultationen gemäß internationalen Standards als Voraussetzung für eine Exporthaftung erklärt worden. Angesichts wachsender Proteste gegen das Projekt hatten auch die Deutsche und Schweizer Regierung eine Exporthaftung für das umstrittene Projekt davon abhängig gemacht, dass die Türkei internationale Standards einhält. Der Schweizer Bundesrat betonte bereits im Mai 2006, dass die Türkei nicht nur Informations-, sondern auch Konsultationspflichten hätte. Auch dürften die Anrainerstaaten durch den Megadamm nicht geschädigt werden und Verhandlungen müssten zu einer fairen Aufteilung der Wasserressourcen führen. Doch keine dieser Voraussetzungen sind laut dem irakischen Wasserminister Rashid gegeben. Im Gegenteil: durch den Ilisu-Damm erwarte der Irak eine massive Verschlechterung der Wasserqualität.

Politische Konflikte

Auch politische Konsequenzen könnte das Staudammprojekt nach sich ziehen. Berichten aus Großbritannien zufolge hatten in der Vergangenheit die Staudämme an Euphrat und Tigris für Spannungen zwischen den drei Ländern gesorgt - bis hin zur Truppenmobilisierung. Bereits der Beginn der Bauarbeiten am türkischen Keban-Damm sorgte 1965 in Syrien und im Irak für Proteste. Die Fertigstellung des syrischen Tabqua-Damms brachte den Irak zunächst 1974 und erneut 1975 dazu, mit militärischen Schlägen zu drohen, sodass beide Länder ihre Truppen an der Grenze mobilisierten.

Als die Türkei 1990 den Atatürk-Staudamm zu füllen begann, sollte der Euphrat für 16 Tage gesperrt werden. Der folgende Konflikt mit Syrien und Irak eskalierte bis hin zur Drohung des Irak, die Euphrat-Staudämme zu bombardieren. Beide Länder protestierten erneut, als 1993 der türkische Birecik-Staudamm in Betrieb genommen wurde. Einen vorläufigen Höhepunkt der Spannungen stellte die extreme Trockenperiode 1999 und 2000 dar.

Staudämme und Bewässerungsprojekte

Sollten alle Staudämme und Bewässerungsprojekte der Türkei realisiert werden, so würde die Restwassermenge in den Nachbarstaaten über die Hälfte reduziert und durch die Rückflüsse der Landwirtschaft stark verschmutzt werden. Bereits 2004 warnte der irakische Wasserminister in einem BBC-Interview, dass sich die Wasserqualität und Wasserzufuhr durch die Staudämme und Bewässerungsprojekte in Syrien und der Türkei bereits dramatisch verschlechtert hätten.

Internationale Standards

Durch die Bedenken seitens der irakischen Regierung könnte die Andritz AG nun in Erklärungsnot kommen. Laut einer Aussendung des österreichisch-deutsch-schweizerischen Baukonsortiums soll ein Bericht des deutschen Außenministeriums erwähnen, dass beide Länder das Projekt begrüßen. Auf Anfrage der Grünen konnte das deutsche Außenamt die Existenz eines solchen Berichts jedoch nicht bestätigen.

Nationale wie internationale NGOs warnen nun erneut davor, dass Österreich durch die Förderung des Staudammprojekts dazu beitrage, die Spannungen im Nahen Osten weiter zu verschärfen. Angesichts der wiederholten Ankündigungen des Finanzministeriums, eine Exporthaftung nur unter Einhaltung internationaler Standards – damit auch nur unter Nicht-Schädigung und Konsultation der Anrainerstaaten - zu unterstützen, müsse daher eine Risikoübernahme durch die öffentliche Hand abgelehnt werden. Abzuwarten bleibe auch eine Stellungnahme zum Schreiben des irakischen Wasserministeriums. (red)

Links
BBC: Iraq seeks to ease water shortage

Die Österreichische Kontrollbank AG: Österreichische Umweltrichtlinien für Exportgarantien

Vorgaben der OECD Common Approaches (pdf-Datei)

eca-watch.at - Vergleich türkischer Gesetze und des Ilisu-Umsiedlungsplans mit internationalen Standards (pdf-Datei)

andritz.com

Mehr zum Thema Ilisu-Staudammprojekt auf derStandard.at/Investor