Der Standard, 29.10.2006

Staudamm bekommt mit großer Wahrscheinlichkeit das "Go" 1

BMF: Türkei in der Vergangenheit verlässlicher Partner für österreichische Firmen - Promessen der deutschen und Schweizer Exportkreditförderer noch nicht bestätigt

Wien - Im Finanzministerium hat heute der Beirat mit großer Wahrscheinlichkeit eine Empfehlung unter Auflagen über die Exporthaftung für den schwer in der Kritik stehenden türkischen Staudamm Ilisu ausgesprochen. Die endgültige Entscheidung fällt das Finanzministerium. Das Projekt unter Konsortiumsführung der österreichischen Andritz AG wird dann mit rund 240 Mio. Euro gegen politische Risiken staatlich versichert - vorausgesetzt, die türkische Regierung kann und will die gestellten Auflagen erfüllen. Das Finanzministerium sei aber primär positiv eingestellt, sagte der Sprecher von Ressortchef Karl-Heinz Grasser, Manfred Lepuschitz, heute zur APA.

"Es gibt noch keine entscheidungsreife Grundlage", schränkte Lepuschitz am frühen Nachmittag die heutigen Beratungen des Beirats ein. Nächste Woche will man gemeinsam mit den Vertretern der Exportkreditagenturen von Deutschland und der Schweiz, die ebenfalls ihre Haftungsgarantien für das Projekt abgeben werden, nach Ankara fahren. Dort sollen die Auflagen, die mit der Promesse, dem Haftungsversprechen, einher gehen, geklärt werden. Es gelte, internationale Spielregeln einzuhalten, sagte Lepuschitz. "In der Vergangenheit hat sich die Türkei bei Aufträgen mit österreichischen Firmen im Kraftwerksbau als verlässlicher Partner erwiesen", sagte der Sprecher des Finanzministers.

Interner Kommunikationsbedarf

Die Schweizer Exportkreditagentur ERG, die für die Schweizer Alstom und drei andere Schweizer Firmen haften soll, erklärte auf APA-Anfrage, es gebe noch "internen Kommunikationsbedarf". Der Prozess sei noch nicht abgeschlossen. Man führe derzeit Koordinationsgespräche auf Ebene den Exportkreditagenturen. Eine definitives Ende der Projekt-Prüfung wurde weder bestätigt noch dementiert, gilt aber als wahrscheinlich. Auch hier verwies man auf die kommenden Gespräche mit den türkischen Seite.

Die türkischen Auftraggeber werden hingegen langsam unruhig. Um den Prozess voranzutreiben, hat am 5. August die Grundsteinlegung unter Anwesenheit des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan stattgefunden. Mit dem EU-Beitrittswunsch der Türkei im Rücken wird wenig Grund gesehen, der türkischen Regierung bei der Erfüllung etwaiger Auflagen zu misstrauen. Die Verantwortung die Einhaltung der OECD- und Weltbank-Standards würde dann bei der türkischen Seite liegen. Ähnlich sieht es die Schweiz. "Es gebe keinen Grund, an den Versprechen der Türkei zu zweifeln. Das Land sei gewillt, seine Verpflichtungen nachzukommen", berichtete der Schweizer Tagesanzeiger unter Berufung auf das Schweizer Außenministerium.

Vorpreschen Österreichs

Die Projektgegner sehen das anders. Ulrike Lunacek, außenpolitische Sprecherin der Grünen, sieht in der Vorgangsweise ein "Vorpreschen" Österreichs. Eine Promesse abzugeben, bevor die Kriterien feststehen, halte sie für äußerst fragwürdig, sagte sie zur APA. Aber auch die deutsche und die Schweizer Exportkreditagentur werden trotz weiterem Klärungsbedarf ein prinzipielles Haftungsversprechen abgeben, wird aus gut informierten Kreisen versichert.

Wer nach einer Zusage die Kontrolle der Standards und etwaige Auflagen am Staudamm-Projekt übernimmt, konnte weder von den Staudamm-Gegnern noch vom Finanzamt oder der Kontrollbank bisher hinreichend beantwortet werden.

Lobbyismus in der Schweiz, PKK-Guerilla warnt

In der Frage der Haftungsübernahme kommt Bewegung. Ein Haftungsversprechen der drei beteiligten Exportkreditagenturen gilt als sicher, wenn auch unter einer Vielzahl an Auflagen. Kritisch äußert sich die extern beauftragte Expertin der Schweizer Exportkreditagentur (ERG), während 700 Alstom-Mitarbeiter Druck auf die Schweizer Bundesrat machten. Nun hat sich auch der bewaffnete Arm der PKK zu Wort gemeldet.

Bei einem Besichtigungstermin für die Exportkreditagenturen im Südosten der Türkei im August dieses Jahres konnten sich Experten von den Bemühungen der türkischen Regierung überzeugen. Ayse Kudat, die als extern beauftragte Expertin der Schweizer ERG bereits 2000 das Projekt in seiner damaligen Phase geprüft hat, erklärte gegenüber der APA: "Die Bedingungen haben sich nicht sonderlich verändert."

Petition an den Bundesrat

Der Chef der Schweizer Alstom Hydro, Daniel Schafer, erklärte, sollte die Schweiz die Kreditvergabe verweigern, könnte das Projekt in der bestehenden Konstellation nicht stattfinden. Alstom würde sich aber nicht zurückziehen. Die Alstom-Personalvertreter haben im Vorfeld, im Zuge der Projektprüfung des Staudamms, Lobbyarbeit geleistet und eine Petition an den Bundesrat verfasst. Die rund 700 Unterzeichner unter den Alstom-Angestellten haben auf die Bedeutung des Projekts für die eigene Arbeitsplatzsicherung verwiesen.

Mittlerweile macht selbst die Guerilla der PKK in Sachen Ilisu Druck und hat sich zu Wort gemeldet. Die PKK-Rebellen erklärten, dass "die Angriffe" gegen ihre Natur- und Kulturgüter nichts anderes als die Fortsetzung der Vertreibungspolitik der türkischen Staates seien. In einer Stellungnahme riefen sie die am Ilisu-Staudammprojekt beteiligten Unternehmen und Banken auf, "sich nicht an diesem Verbrechen des Staates" zu beteiligen. Ansonsten würden sie sich selbst schuldig machen.

Am 24. September soll die Guerilla in der Gegend um Dargecit eine türkische Militäreinheit, die für die Sicherheit des Ilisu-Staudamm-Projekts eingesetzt gewesen seien, angegriffen haben. Die Guerilla spricht von drei toten türkischen Soldaten, zwei weitere seien verletzt worden.

In der Gegend um Dargecit kommt es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Seit die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) den Waffenstillstand mit der türkischen Armee aufgekündigt hat, verschärft sich der Konflikt mit den separatischen Kurden wieder. Die türkische Armee hat nach den Aufständen in Diyarbakir ihr Truppenkontingent in den Unruheprovinzen weiter massiv verstärkt. (APA)