Der Standard, 22.10.2006

Andritz beklagt "unausgewogene Medien-Berichterstattung"

Leitner: "Ein bisschen weniger vorgefasste Meinung, mehr Fairness und Fakten" - Umstrittenes Staudammprojekt "grundvernünftig"

Wien - Wolfgang Leitner, Chef des Grazer Anlagenbaukonzerns Andritz AG, wirft einzelnen heimischen Zeitungen vor, mit vorgefassten Meinungen, ohne Gegenrecherche und mitunter kampagnenartig über ein umstrittenes Projekt im Südosten der Türkei zu berichten. "Anders kann ich es nicht ausdrücken, wenn eine Journalistin zusammen mit einem Aktivisten der Projektgegner zur 'Recherche' in die Türkei reist, und es gleichzeitig nicht der Mühe wert findet, von selbst die 'andere Seite' auch nur anzurufen, um sie anzuhören", sagt Leitner, der sich heuer das Ilisu-Problem zusammen mit der Akquisition der Kraftwerksparte der VA Tech "eingekauft" hat. Viele Medien ließen die nötige Distanz vermissen und sich von Nichtregierungsorganisationen bereitwillig für deren Kampagnen instrumentalisieren.

Wasserkraftwerk im Südosten der Türkei

Der Auftrag zur Errichtung des Ilisu-Staudamms geistert seit wenigstens sechs Jahren durch die Zeitungen. Im Wesentlichen geht es dabei um ein riesiges Wasserkraftwerk im Südosten der Türkei, für das mehr als 10.000 Menschen umgesiedelt werden müssen. Westliche Menschenrechts- und Umweltorganisationen (NGOs), aber auch ein Teil der lokalen Bevölkerung kritisieren die 1,2-Milliarden-Euro-Investition der türkischen Regierung, für die der Spatenstich in den Sommermonaten stattgefunden hat. Ein Teil der Bewohner stimmt dem Projekt zu, weil sie sich davon Jobs und Elektrizität erhoffen und/oder mit den für die Umsiedlung gebotenen Entschädigungen zufrieden ist. Verkompliziert wird die Situation dadurch, dass Ilisu im Kurdengebiet und nahe an der Grenze zum Irak liegt sowie eine historische Stätte überflutet würde.

230 Millionen Euro

Das Auftragsvolumen für Andritz beträgt rund 230 Mio. Euro, weitere westliche Konsortiumsteilnehmer sind Alstom und die zur Strabag gehörende deutsche Baufirma Züblin.

"Ilisu ist ein grundvernünftiges Projekt und ich sage das nicht, weil Andritz daran verdienen will", meinte Leitner in einem APA-Gespräch. "Österreich ist glücklich, 60 Prozent seines Stroms aus Wasserkraft zu beziehen - und den anderen wollen wir so etwas vorenthalten?" Kraftwerkgegner aus westlichen NGOs erklärten Bewohner von Ilisu "für 'brain washed', wenn sie bereit sind, die gebotene Entschädigung zu nehmen und umzuziehen. Oder sie sagen, die Leute könnten mit dem Geld ohnedies nicht Sinnvolles anfangen. Eine solche Haltung ist echt imperialistisch", sagte Leitner. Die Mehrheit der Bewohner von Ilisu stimme dem Projekt zu.

Kontrollbank prüft

Derzeit prüft die Kontrollbank (OeKB), ob die Investition die internationalen Standards erfüllt, um sie gegen wirtschaftliche und politische Risiken absichern zu können. Andritz gibt sich zuversichtlich, das Grüne Licht von Kontrollbank bzw. Finanzministerium noch im heurigen Jahr zu bekommen. Wenn nicht, müsse man sich um eine andere Form der Absicherung umschauen und "wenn wir das Projekt nicht machen können, stürzt die Welt auch nicht ein".

Von der Berichterstattung erhoffe er sich ein "bisschen weniger vorgefasste Meinungen und Kampagnisierung und mehr Fairness und Faktenberichterstattung", sagt Leitner, der in diesem Frühsommer auch wegen eines anderen Projekts zerzaust worden war - eine Zellstofffabrik in Uruguay, für die Andritz die Anlage liefern soll. Das Investitionsvorhaben sei rund um den Lateinamerika-Gipfel in Wien von den NGOs heftig kritisiert worden - was auch breiten Niederschlag gefunden habe: "Etwas später hat der Internationale Gerichtshof in der Sache dann aber eine Entscheidung für das Projekt gefällt. Bis auf eine Ausnahme haben die Zeitungen, die vorher so brennend an dem Thema interessiert waren, nichts geschrieben." Die im Juli gefasste Gerichtsentscheidung bezieht sich auf eine geforderte einstweilige Verfügung, die mit 14:1 Stimmen abgelehnt wurde. Eine eigens erstellte Studie der Weltbank weise die Einhaltung aller internationalen Umweltstandards nach, sagt Leitner. (APA)