Der Standard, 29.09.2006

Umweltgruppen protestieren gegen Staudamm in der Türkei

An dem Projekt sind die Andritz AG bzw. die VA Tech Hydro engagiert - Entscheidung über Exportkredite in Österreich fällt im Oktober

Istanbul/Wien – Am Donnerstag gab ein Beirat aus Beamten und Vertretern der Sozialpartner in Wien noch keine definitive Empfehlung ab, dass die Kontrollbank eine Garantie für den 230-Millionen-Auftrag der VA Tech Hydro und Andritz übernehmen kann. Erst im Oktober soll die Entscheidung fallen. Nicht nur in Österreich sondern auch in der Türkei ist das Staudammprojekt Ilisu umstritten, in Wien gab es am Donnerstag eine Demonstration vor dem Finanzministerium dagegen.

Seit die türkische Regierung Anfang August einen zweiten Anlauf zum Bau des Staudamms gemacht hat, versuchen Umweltgruppen landesweit die Bevölkerung gegen das Projekt zu mobilisieren. Im Westen der Türkei geschieht dies vor allem unter dem Stichwort Hasankeyf, dem bekannten antiken Ort am Tigris, der durch den Staudamm versenkt würde. Auch die PKK warnte: In einer Stellungnahme riefen sie die am Ilisu-Staudammprojekt beteiligten Unternehmen und Banken auf, “sich nicht an diesem Verbrechen des Staates” zu beteiligen. Ansonsten würden sie sich selbst schuldig machen.

Misstrauen

In der Region selbst konzentriert sich der Widerstand vor allem in den Dörfern und Städtchen, die dem Damm weichen müssten. Hier herrscht weit verbreitetes Misstrauen gegenüber den staatlichen Versicherungen, alle Betroffenen könnten mit großzügigen Entschädigungen rechnen und bekämen neue Häuser in der Umgebung des Stausees zugeteilt. Unterstützt wird der Protest auch von den kurdischen Bürgermeistern in den umliegenden Städten und der Metropole Diyarbakir, die alle befürchten, dass der Staudammbau eine neue Migrationswelle in ihre sowieso schon völlig überlasteten Städte auslösen könnte.

Auf parlamentarischer Ebene ist der Damm dagegen unumstritten. Sowohl die Regierungspartei AKP wie die oppositionelle CHP sind für den Damm. Ministerpräsident Erdogan argumentiert, allein beim Bau des Dammes könnten rund 10.000 Menschen in der völlig verarmten Gegend zu mindestens vor_übergehend einen Job finden. Bis zu 120.000 Quadratkilometer Landes sollen bewässert werden. Auf Grundlage dieser Argumente wird wohl auch die deutsche Regierung einer Bürgschaft für die Baufirma Züblin zustimmen. (Jürgen Gottschlich, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29.9.2006)