taz, 08.08.2006

Türkei baut neuen Megastaudamm

Ungeachtet der Proteste gibt die türkische Regierung das Startsignal für das umstrittene Ilisu-Projekt. Der Staudamm wird unersetzbare archäologische Stätten unter Wasser verschwinden lassen. Bis zu 50.000 Menschen müssen umgesiedelt werden

von JÜRGEN GOTTSCHLICH

"Hände weg von Hasankeyf" ist auf die T-Shirts und Transparente der Demonstranten gedruckt, die sich am Wochenende in der antiken Stadt am Tigris eingefunden haben. Tausende sind es, Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten aus Istanbul und Ankara, aber auch Menschen aus der Region. Unterstützt von den Bürgermeistern der umliegenden Städte wollen sie verhindern, was der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan am Samstag als Lösung für die verarmten kurdischen Gebiete anpries: den Bau des Ilisu-Staudamms, eines Megaprojekts, das 300 Quadratkilometer Land unter Wasser setzen soll. Etliche Dörfer müssten dem Wasser weichen. Offiziell 10.000, nach Schätzungen der Dammgegner bis zu 50.000 Menschen wären betroffen. Auch die antike Stätte Hasankeyf würde versenkt, das Symbol des Widerstands gegen das Staudammprojekt.

Hasankeyf liegt direkt am Tigris und ist nach Auffassung von Archäologen seit fast 10.000 Jahren bewohnt. Damit gehört der Ort zu den ersten menschlichen Siedlungen überhaupt. Eine Furt durch den Tigris veranlasste schon die Urahnen der modernen Menschen, sich hier niederzulassen und erstmals Getreide anzubauen. Sie lebten in Höhlen. Seit 20 Jahren sind türkische Archäologen dabei, diese Höhlen zu untersuchen, die bis vor 50 Jahren bewohnt waren. Doch ausreichende Mittel gibt es erst seit den letzten beiden Jahren.

Die Proteste haben die Regierung nun aufgeschreckt. Schon beim Bau des Euphrat-Damms in Birecik verschwanden Bodenmosaiken von unschätzbarem Wert unter Wasser. Dieses Mal verspricht sie, einen großen Teil der Schätze zu retten und in einem nahe gelegenen archäologischen Park wieder aufzubauen. Kritiker verspotten das als eine Disneyland-Version und verweisen darauf, dass beispielsweise die Höhlen am Fluss nicht gerettet werden könnten.

Trotzdem gibt sich die Regierung zuversichtlich, den vor vier Jahren gestoppten Bau dieses Mal tatsächlich durchziehen zu können. Damals waren internationale Investoren ausgestiegen, weil soziale und ökologische Standards nicht gewährleistet waren. Die Umweltverträglichkeitsprüfung sei nun nach den Regeln der Weltbank durchgeführt worden, heißt es aus Ankara. Für die Menschen, die umgesiedelt werden müssten, stünden großzügige Regelungen bereit.

Erdogan wirbt bei der Grundsteinlegung für den Ilisu-Damm damit, dass allein der Bau 10.000 Menschen in dieser ärmsten Region der Türkei Arbeit bringen würde. Nach Fertigstellung des Damms könnten rund 120.000 Quadratkilometer jetzt trockener Böden in blühende Felder verwandelt werden. Die Hartnäckigkeit, mit der er und seine Regierung an dem Ilisu-Damm festhalten, erklärt sich auch daraus, dass dieser Staudamm zusammen mit dem bereits 1992 am Euphrat fertig gestellten Atatürk-Damm den Kernbereich des GAP-Projekts ausmacht. Dieses bereits vor 30 Jahren geplante Entwicklungsprojekt für den kurdisch besiedelten Südosten des Landes soll das gesamte Grenzgebiet zu Syrien und dem Irak zur Kornkammer des Landes machen - wie es in der Antike schon einmal der Fall war.

Doch selbst die politisch Verantwortlichen der Millionenstadt Diyarbakir wehren sich gegen das Projekt, obwohl der Ort von dem damit gewonnenen Strom profitieren würde. Ihre Gründe sind sowohl ideologischer als auch praktischer Natur: Die Politiker verweisen darauf, dass angeblich kurdische Kultur vernichtet würde. Aber sie fürchten auch, dass die meisten der durch den Dammbau Vertriebenen nicht in Ersatzdörfern bleiben, sondern in den Slums von Batman und Diyarbakir landen.