Neues Deutschland, 08.08.2006

Keine Chance mehr für Hasankeyf?

Türkei nahm den Bau des Ilisu-Großstaudamms am Tigris in Angriff

Von Jan Keetman, Istanbul

In einer vergleichsweise bescheidenen Feier legte der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan am Wochenende den Grundstein für eines der größten Staudammprojekte der Welt: Der Damm bei dem Örtchen Ilisu soll den Tigris zu einem See aufstauen, der etwa zwei Drittel der Fläche des Bodensees bedecken wird.
Neben zahlreichen Dörfern wird auch das historische Städtchen Hasankeyf in den Fluten des Stausees versinken. Ein empfindliches Thema, insbesondere für viele Kurden, die Hasankeyf als ihr historisches Denkmal betrachten. Der teilweise in die Felsen gehauene Ort mit etwa 4000 Einwohnern blühte vor allem im Mittelalter, seine Geschichte reicht jedoch weit länger zurück.
Der Bau des Staudamms soll im Jahr 2013 abgeschlossen sein, jedenfalls steht es so in türkischen Zeitungen. Die Bewohner Hasankeyfs wurden nicht darüber in Kenntnis gesetzt, wann das Wasser kommen wird und wohin sie dann gehen sollen. Der Bürgermeister von Hasankeyf, Abdulvahap Kusen, sagte nach der Grundsteinlegung auf Anfrage, bisher habe er keinerlei Informationen und es sei mit ihm kein einziges Mal über das Projekt gesprochen worden. Indessen hat Kusen die Hoffnung keineswegs aufgegeben. Er hofft auf einen Prozess, den er in der Türkei gegen das Projekt angestrengt hat. Auch der Europäische Gerichtshof in Straßburg hat eine Klage gegen den Ilisu-Damm angenommen. Nicht zuletzt hofft Kusen auch auf die Unterstützung von Umweltgruppen aus Europa. Vor vier Jahren war das Dammprojekt nach einer europaweiten Kampagne bereits abgeblasen worden. Angeführt von der britischen Balfour Beatty, zogen sich immer mehr Firmen und Banken aus dem Unternehmen zurück, schließlich auch die Schweizer UBS.
Mit solchen Erfahrungen mag auch das zurückhaltende Auftreten der türkischen Regierung zusammenhängen, die das Projekt mit Hinweis auf den Energiebedarf des Landes und die Schaffung von 10 000 Arbeitsplätzen verteidigt. Einige der historischen Bauten Hasankeyfs werde man in einem »Kulturpark« an anderer Stelle wieder aufbauen.
Vorsichtiges Auftreten empfiehlt sich für Ankara aber auch in Bezug auf die arabischen Nachbarn, die den türkischen Staudammprojekten an Euphrat und Tigris von jeher kritisch gegenüberstehen. Irak wäre ohne die Flüsse Euphrat und Tigris zum großen Teil Wüste. Nachdem die Türkei bereits immer mehr Wasser vom Euphrat abzweigt, ist nun auch der Tigris dran. Ankara weist entsprechende Befürchtungen jedoch als unbegründet zurück. Auch Irak profitiere schließlich von einer Regulierung der Wassermenge, heißt es. Außerdem werde Ilisu nur zur Stromerzeugung gebaut, Wasser werde also nicht entnommen. Andererseits will die Türkei nur eine Wassermenge von 60 Kubikmeter pro Sekunde garantieren. Das ist weniger als ein Achtel des jährlichen Durchschnitts. Außerdem wird diese »Garantie« als freiwillig und nicht bindend gesehen. Türkische Medien berichten mittlerweile auch, dass es nun doch Bewässerungsprojekte geben soll. Geplant ist demnach die Bewässerung der stattlichen Fläche von 120 000 Hektar.
Nicht nur die Menge, auch die Qualität des abfließenden Wassers wird sich ändern. Durch Verdunstung im Stausee wird der Salzgehalt zunehmen. Dies verschärft das Grundproblem der irakischen Landwirtschaft: die Bodenversalzung. Manche Felder südlich von Bagdad glänzen schon heute von Salzkristallen.
Letztendlich ist der Staudamm auch ein politischer Hebel. Statt mit dem Einmarsch von Truppen zu drohen, könnte die Türkei dem Nachbarn in den heißen Sommermonaten einfach den Wasserhahn abdrehen.