Frankfurter Rundschau, 7.8.2006

Türkei versenkt antike Ruinenstätten
Der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan hat am Samstag in der Südosttürkei das Startsignal für den Bau des Ilisu-Staudamms gegeben. Naturschützer und Archäologen protestieren.

Athen - "Dieser Damm wird eine 12 000-jährige Geschichte zerstören, sagt der Bürgermeister von Hasankeyf, Abdülvahap KusenWo die Kleinstadt heute liegt, siedelten schon in der Frühsteinzeit Menschen. In der Antike wurde der Ort zur bedeutsamen Handelsstation am Ufer des Tigris. Die Ruinen einer Brücke von 1116, der Palast der Artukiden aus dem 12. Jahrhundert, die Ulu- Camii-Moschee aus dem 14. Jahrhundert erinnern an große Zeiten. Jetzt soll die Unterstadt von Hasankeyf mit allen historischen Stätten in einem See versinken.

An der Spitze einer großen Ministerdelegation kam Premier Recep Tayyip Erdogan am Samstag in die südostanatolische Kleinstadt Dargecit in der Provinz Sirnak. In der Nähe des Ortes, 45 Kilometer nördlich der syrischen Grenze, soll die 135 Meter hohe Ilisu-Staumauer den Tigris sowie mehrere seiner Nebenflüsse auf einer Länge von 136 Kilometern in einen künstlichen See verwandeln. Der soll mit 313 Quadratkilometern Fläche etwa so groß wie München sein.

Das geplante Wasserkraftwerk am Fuß des Staudamms soll etwa drei Prozent des wachsenden Strombedarfs der Türkei decken. Ministerpräsident Erdogan lobte das Staudammprojekt als Beweis, dass der wirtschaftlich zurückgebliebene Südosten des Landes nicht vernachlässigt werde. Die Befürworter des Projekts sagen, der Damm werde 10 000 neue Arbeitsplätze schaffen, Landwirtschaft und Fischzucht fördern und die Region für den Tourismus erschließen.

Die Gegner fürchten um das Schicksal zehntausender Menschen, deren Wohnorte im Stausee versinken werden. 199 Siedlungen müssen aufgegeben, etwa 11 000 Bewohner umgesiedelt werden. Weitere 43 500 Menschen können zwar bleiben, werden aber einen Großteil ihres Landes verlieren. Kritiker des Projekts fürchten, dass mehrere zehntausend Menschen aus der Region abwandern und in den ohnehin überfüllten Elendsvierteln der Großstädte Batman und Diyarbakir enden werden.

Mit einem Kostenaufwand von rund 43 Millionen Euro wollen die staatlichen Wasserwerke (DSI) als Bauherr des Projekts sind mehrere der historischen Monumente abtragen und in einem "Archäologischen Park" oberhalb des Stausees wieder errichten. Archäologen kritisieren, dadurch würden die Baudenkmäler aus ihrem Kontext gerissen.

In Hasankeyf versammelten sich am Wochenende 30 Bürgermeister betroffener Gemeinden zu einer Mahnwache gegen das Projekt, unterstützt von zahlreichenMitgliedern türkischer und ausländischer Nichtregierungsorganisationen. "Unser Tal ist Teil des alten Mesopotamiens, wo die Geschichte der Menschheit begann - hier kann man sehen, wie die Menschen vor Jahrtausenden lebten", sagt Bürgermeister Kusen. Diese historischen Zeugnisse dürfe man nicht einfach fluten, sagt der kurdische Kommunalpolitiker: "Deshalb müssen wir den Dammbau stoppen." Gerd Höhler

 

Das GAP-Projekt
Der Ilisu-Damm ist Teil des 1982 gestarteten Südostanatolien-Projekts (GAP), das den Bau von 22 Staudämmen und 19 Wasserkraftwerken an den Flüssen Euphrat und Tigris vorsieht. Etwa 1,2 Milliarden Euro soll der Damm kosten und 2013 fertiggestellt werden. Das Kraftwerk soll 1 200 Megawatt Leistung haben. öhl