junge Welt, 06.09.2005

Interview: Nick Brauns

»Morgen können andere Zeitungen verboten werden«

Polizei schließt auf Weisung Schilys Redaktion einer kurdischen Zeitung. Journalisten hoffen auf breite Solidarität.

Ein Gespräch mit Cemal Ucar

* Cemal Ucar ist Mitherausgeber der am Montag vom Bundesinnenminister wegen angeblicher PKK-Nähe verbotenen kurdischen TageszeitungÖzgür Politika in Frankfurt/Main

F: Die Polizei hat am Montag die Redaktion der kurdischen Zeitung Özgür Politika geschlossen. Was genau ist passiert?

Ab neun Uhr früh ist die Polizei in unsere Redaktion in Neuisenburg (Kreis Offenbach) und in Privatwohnungen der leitenden Redakteure eingedrungen. Den ganzen Tag über wurden die Räume gründlichst durchsucht und Computer und Schriftstücke abtransportiert. Die anwesenden Redakteure und Journalisten wurden von der Polizei zwar mehrere Stunden festgehalten, Festnahmen gab es entgegen ersten anderslautenden Meldungen aber nicht. Die Räume wurden dann versiegelt und die Zeitung aufgrund eines Bescheids des Bundesinnenministeriums vom 30. August 2005 für verboten erklärt.

F: Wer ist von dem Verbot betroffen?

Betroffen sind über 100 Personen, darunter die festen Mitarbeiter und Redakteure sowie viele freie Journalisten und Korrespondenten. Es gab auch Razzien in den Räumen der Mesopotamischen Nachrichtenagentur MHA und des Onlinedienstes Roj, die im selben Gebäude untergebracht sind wie Özgür Politika. Zwar wurden diese Agenturen nicht verboten, doch durch die Beschlagnahme und den Abtransport ihrer Technik und Unterlagen wurde ihre Arbeit ebenfalls lahmgelegt.

F: Sie veröffentlichen regelmäßig Erklärungen der kurdischen Befreiungsbewegung. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) wirft Özgür Politika daher vor, in die Struktur der verbotenen kurdischen Partei PKK beziehungsweise ihrer Nachfolgeorganisation Kongra-Gel eingebunden zu sein.

Diesen Vorwurf weisen wir zurück. Wir bieten in unserer Zeitung seit zehn Jahren Informationen über Ereignisse an, die Kurden interessieren. Dazu veröffentlichen wir auch Erklärungen kurdischer Organisationen. Jede andere Zeitung könnte das auch machen. Übrigens gab es bereits im Jahr 2000 deswegen einen Prozeß gegen uns, der wegen Mangel an Beweisen eingestellt werden mußte.

F: Am Wochenende haben mehrere kurdische Politiker auf einem Kulturfestival in Köln an die Bundesregierung appelliert, sich konstruktiv für eine Lösung der kurdischen Frage einzusetzen. Ist das angesichts der Vorgehensweise von Schily nicht eine Illusion?

Ich hoffe, daß es keine Illusion bleibt, da die Situation sonst sehr gefährlich werden kann. Die Kurden haben eine Wende eingeleitet, indem sie beschlossen, mit politischen Mitteln für ihre Rechte zu kämpfen. Aber wir haben es hier und in der Türkei mit Provokationen zu tun, die die Kurden dazu anstiften sollen, zur Gewalt zurückzukehren und Dinge zu tun, die sie nicht wollen. In der Türkei kommt es trotz eines neuen Waffenstillstandes der Guerilla zu Angriffen des Staates auf die Kurden. So entsteht eine neue Gewaltspirale.

F: Was werden Sie gegen das Verbot der Zeitung tun?

Wir werden alles daransetzen, die Zeitung wieder ins Leben zu rufen und legen juristischen Widerspruch ein. Wir rufen zwar nicht zu Protesten auf, aber es haben sich bereits spontan Leserinnen und Leser der Zeitung vor der Redaktion versammelt, um gegen die Schließung zu protestieren. Auch von der Deutschen Journalistenunion in der Gewerkschaft ver.di haben wir eine Solidaritätserklärung erhalten. Es handelt sich hier schließlich nicht um irgendein Verbot. Das Verbot einer Tageszeitung ist ein eklatanter Verstoß gegen die Presse- und Meinungsfreiheit. Wir hoffen auf die breite Solidarisierung von anderen Medien. Denn heute betrifft es die Özgür Politika und morgen kann schon eine andere Zeitung dran sein.