taz, 13.03.2003

Europa rügt Türkei

Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte gestern die Türkei wegen Verfahren gegen PKK-Chef Öcalan. Berufung ist möglich

FREIBURG taz PKK-Führer Abdullah Öcalan hatte in der Türkei keinen fairen Prozess. Dies stellte gestern der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg fest. In fünf von elf gerügten Punkten gaben die Richter Öcalans Anwälten Recht. Unter anderem sei Öcalan nach seiner Festnahme im Februar 1999 nicht unmittelbar einem Richter vorgeführt worden, und er habe zu spät Kontakt zu seinen Rechtsanwälten aufnehmen können. Deshalb hätte er wichtige Aussagen ohne juristischen Beistand gemacht. Auch sei das Staatssicherheitsgericht, vor dem Öcalan verurteilt wurde, nicht wirklich unabhängig gewesen.

Auch die gegen Öcalan verhängte Todesstrafe wurde beanstandet, allerdings nur weil sie die Folge eines "unfairen Verfahrens" war. Die Verhängung dieser Strafart an sich ist in der Europäischen Menschenrechtskonvention, die aus dem Jahr 1950 stammt, noch nicht verboten. Erst ein später ausgehandeltes Zusatzprotokoll bannte die Todesstrafe völlig. Dieses Protokoll hat die Türkei zwar vor zwei Monaten unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert.

Anders als zu Beginn des Verfahrens spielt die Frage der Todesstrafe inzwischen aber keine große Rolle mehr. Denn im Oktober 2002 war Öcalans Verurteilung nach einer Gesetzesänderung in ein "Lebenslänglich" umgewandelt worden. Die Richter des Europarates sprachen Öcalan gestern keinen Schadenersatz zu. Die Genugtuung über den gewonnenen Prozess sei ausreichend. Seine Anwälte bekommen allerdings 100.000 Euro für die Prozesskosten.

Ob Öcalan in der Türkei einen neuen Prozess erhält, ist noch offen. Zunächst können beide Seiten binnen drei Monaten gegen die Entscheidung des Straßburger Gerichts Rechtsmittel einlegen. Wie von Beobachtern erwartet, hat die Türkei diesen Schritt bereits angekündigt. Sie hatte im Verfahren Wert darauf gelegt, dass der Fall zunächst vor einer mit sieben Richtern besetzten kleinen Kammer verhandelt wird, um noch eine zweite Chance vor der Großen Kammer mit 17 Richtern zu haben. Außenminister Yasar Yakis erklärte gestern, dass bei einem neuen Prozess in der Türkei das Urteil dasselbe bleiben werde. CHRISTIAN RATH